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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Matty Kettelsmit zu versichern. »Selbstverständlich. Solange es nichts Verräterisches ist.« Aber er war beunruhigt. Vielleicht hatte er Zosim ja zu früh gedankt; der war immerhin ein höchst launenhafter Gott.
    »Gut. Ihr seid nett, Kettelsmit. Ich schreibe ihnen, weil ich ihnen wichtige Sachen zu erzählen habe. Schreibt das auf, was ich jetzt sage.« Er holte Luft. Er hatte die Augen fast geschlossen, als gelte es, sich an etwas zu erinnern, und nicht, sich etwas auszudenken. »Sagt dem Prinzen und der Prinzessin von Südmark, daß ich sie sprechen muß. Daß ich ihnen wichtige Sachen sagen kann, die wirklich wahr sind.«
    Kettelsmit seufzte erleichtert auf, als er mit einer eleganten Einleitungsformel begann, denn es war ja klar, daß dieser Brief nichts weiter sein würde als das wichtigtuerische Geschwafel eines analphabetischen Bauernburschen, das die königlichen Zwillinge zweifellos nie zu Gesicht bekommen würden.
»An Ihre Edlen und Höchstehrwürdigen Hoheiten Barrick und Briony«,
schrieb er,
»Prinzregent und Prinzregentin von Südmark, von Ihrem ergebenen Diener
... Aber wie heißt du? Mit vollem Namen?«
    »Gil.«
    »Hast du nicht noch einen Nachnamen? So wie ich nicht nur Matthias heiße, sondern Matthias Kettelsmit?«
    Der Schankgehilfe sah den Poeten so verständnislos an, daß diesem nichts blieb, als die Achseln zu zucken. »...
von Ihrem ergebenen Diener Gil«,
schrieb er.
»Schankgehilfe in dem Gasthaus namens ...«
    »Sagt ihnen, daß die Gefahr, mit der sie's zu tun haben, schlimmer ist, als sie wissen. Daß Krieg droht. Und um ihnen zu beweisen, daß ich weiß, wovon ich rede, werde ich ihnen erzählen, was der Tochter von dem settländischen Prinzen und ihrem Mitgiftstein passiert ist und warum der Kaufmannsneffe verschont worden ist. Ihr müßt haargenau die Wörter hinschreiben, die ich sage.«
    Kettelsmit nickte und schrieb fröhlich mit, während Gil seine Botschaft hervorstotterte. Er hatte einen fürstlichen Lohn für eine wahrhaft simple Aufgabe kassiert. Niemand würde diesen traumgeborenen Unsinn ernst nehmen, schon gar nicht die königliche Familie.
    Als er fertig war, gab er dem Schankknecht den Brief und wünschte ihm alles Gute — Gil wollte selbst in die Hauptburg hinaufgehen und den Brief dem Prinzen und der Prinzessin übergeben, aber Kettelsmit war klar, daß der arme Tropf nicht weiter kommen würde als bis zu einem amüsierten oder verärgerten Wächter am Rabentor. Als er den Bierjungen die Treppe hinuntergehen hörte, legte Kettelsmit sich wieder aufs Bett, um darüber nachzudenken, wie er sein Geld ausgeben würde. Sein Kopf schmerzte nicht mehr. Das Leben war auf einmal sehr schön.
    Der Nachmittag verging, ohne daß Gil in den
Sauschwanz
zurückkehrte. Eine Stunde vor Sonnenuntergang wurde Kettelsmit von der königlichen Garde verhaftet, Tintenflecken an den Fingern und die Goldmünze noch immer in der Tasche.

22

Die Ernennung
    Ohne Namen:
Hart wie Stein unter der Erde,
Summend wie Wespen,
Gewunden wie Wurzeln, wie Schlangen.

Das Knochenorakel
    Immerhin, dachte Matty Kettelsmit, hatten sie ihn nicht in Ketten gelegt, aber das war auch das einzig Erfreuliche an der ganzen Sache. Er hatte sich fast bepißt, als die Garden im
Sauschwanz
erschienen waren, um ihn zu verhaften. Und als er dann zum erstenmal den Festungskerker gesehen und den Geruch des feuchten, alten Steins und der verschiedensten Ausdünstungen elendiglich eingesperrter Menschenwesen gerochen hatte, da wäre es beinahe wieder passiert. Es war ja schön und gut, Verse über die Leiden des heroischen Silas von Perikal in der Feste des grausamen Gelben Ritters zu schmieden, aber die Realität eines Kerkers war doch wesentlich beängstigender, als er es sich vorgestellt hatte.
    Er seufzte, bekam dann sofort Angst, es könnte klingen, als beklagte er sich. Er wollte nicht, daß diese überaus bulligen Wächter mit ihren mächtigen, schwieligen Pranken und ihren finsteren Gesichtern böse auf ihn wurden. Zwei von ihnen saßen auf einer niedrigen Bank und unterhielten sich, während ein dritter nur wenige Schritt weiter auf seiner anderen Seite stand, die Pike in der Hand. Dieser Mann war ihm am unheimlichsten; er sah ihn immer wieder an, als hoffte er, der Gefangene würde einen Fluchtversuch unternehmen, damit er ihn aufspießen konnte wie einen bratfertigen Hasen.
    Aber der Poet hatte nicht vor, sich zu rühren. Sein Gehirn war auf Passivität ausgerichtet wie eine Kompaßnadel auf Norden.
Und wenn

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