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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Silhouette vor dem Fackelschein —, konnte sie die Form seiner Schädelknochen unter der Haut erkennen. »Barmherzige Zoria«, murmelte sie.
    »Was wollt Ihr?«
    »Warum wollt Ihr mir nicht erzählen, was passiert ist?« Sie bemühte sich, ihre Stimme ruhig zu halten. Es war schon schlimm genug, wenn sie in der Abgeschiedenheit ihrer Gemächer weinte. Hier würde sie es ganz bestimmt nicht tun, vor diesem strengen alten Mann und dem Wächter, der nur ein paar Schritt weiter stand und so tat, als hörte er nicht zu. »In jener Nacht? Ich möchte Euch gern glauben.«
    »Damit müßt Ihr ziemlich allein sein.«
    »Ich bin nicht die einzige. Dawet glaubt auch nicht, daß Ihr Kendrick getötet haben könntet.«
    Eine ganze Weile kam gar nichts. »Ihr habt mit ihm gesprochen? Über mich?«
    Briony konnte nicht feststellen, ob er verblüfft oder wütend war. »Er war der Gesandte des Mannes, der unseren Vater in Geiselhaft hält. Und er war jemand, der Kendricks Mörder hätte sein können. Wir haben öfters miteinander gesprochen.«
    »Ihr sagt ›war‹?«
    »Er ist abgereist. Zurück nach Hierosol, zurück zu seinem Herrn, Drakava. Aber er hat mir erklärt, er halte Euch für zu ehrenhaft, Euren Treueid dem Hause Eddon gegenüber zu brechen, auch wenn aller Anschein dagegen spreche.«
    »Er ist ein Lügner und Mörder.« Die Worte kamen kalt und grob heraus. »Ihm könnt Ihr gar nichts glauben.«
    Sie kämpfte vergeblich darum, ihre Stimme frei von Ärger zu halten. »Auch wenn er erklärt, daß er von Eurer Unschuld überzeugt ist?«
    »Wenn der Glaube an meine Unschuld am Wort dieses Mannes hängt, habe ich es verdient, enthauptet zu werden.«
    Sie schlug so fest mit der flachen Hand gegen die Tür, daß der Wächter erschrocken zusammenfuhr und hastig ein paar Schritte auf sie zustürzte. Sie wedelte ihn ärgerlich weg. »Ihr sollt verdammt sein, Shaso dan-Heza, und verdammt sei Euer Starrsinn! Macht Euch das
Spaß?
Sitzt Ihr hier im Finsteren und freut Euch, daß wir endlich zeigen, wie wenig wir Euch wirklich schätzen? Ergötzt Ihr Euch daran, wie erbärmlich wir Euch Eure Dienste über all die langen Jahre vergelten?« Sie beugte sich vor und fauchte regelrecht durchs Fenstergitter. »Es fällt mir immer noch schwer zu glauben, daß Ihr meinen Bruder hättet ermorden können, aber so langsam glaube ich, daß Ihr Euch selbst töten lassen würdet — Euch selbst ermorden würdet —, einfach nur aus Trotz und Hochmut.«
    Shaso schwieg wieder, und der große Kopf sank ihm auf die Brust. Er sagte so lange nichts, daß Briony sich schon fragte, ob er vielleicht vor lauter Erschöpfung durch die Strapazen der Haft im Stehen eingeschlafen oder sogar aufrecht gestorben war, so wie es in den Dichtungen über den heldenhaften Ritter Silas von Perikal hieß, er habe sich noch mit einem Dutzend Pfeilen im Leib geweigert zu fallen.
    »Ich kann Euch über jene Nacht nichts sagen, außer daß ich Kendrick nicht getötet habe«, sagte Shaso schließlich. Seine Stimme war seltsam rauh, als ob er mit den Tränen kämpfte, aber Briony wußte, daß nichts auf der Welt unwahrscheinlicher war. »Also muß ich sterben. Wenn Ihr mir wirklich etwas Gutes tun wollt, Prinzessin Briony —, dann kommt nicht mehr hierher. Es ist zu schmerzlich.«
    »Shaso, was ...?«
    »Bitte. Wenn Ihr wirklich die einzige Menschenseele in diesem Land seid, die nicht glaubt, daß ich meinen Eid gebrochen habe, dann will ich Euch noch drei Dinge sagen. Traut Avin Brone nicht — er ist jemand, der seine Finger in allem drin haben muß, und keine Sache ist ihm so wichtig wie seine eigene. Und traut auch Chaven nicht, dem Hofarzt. Er hat viele Geheimnisse, und nicht alle sind harmlos.«
    »Chaven ... ? Aber wieso — was hat er ... ?«
    »Bitte.« Shaso hob den Kopf. Seine Augen glommen vor Intensität. »Hört einfach nur zu. Ich kann Euch nichts von alldem beweisen, aber ... ich möchte nicht, daß Euch etwas geschieht, Briony. Und Eurem Bruder auch nicht, so sehr er meine Geduld auch strapaziert hat. Und ich möchte nicht mit ansehen müssen, wie er um das Königreich seines Vaters gebracht wird.«
    Sie war schockiert. »Ihr spracht von ... drei Dingen.«
    »Traut Eurem Vetter Gailon Tolly nicht.« Er stöhnte. Es war ein unerwartetes, schreckliches Geräusch. »Nein. Das ist alles, was ich sagen kann.«
    »Gailon.« Sie zögerte, wollte ihm fast schon von Gailons Verschwinden erzählen und, wichtiger noch, von Brones Behauptung, die Tollys beherbergten

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