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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Er konnte nichts dagegen tun, daß seine Gedanken immer wieder zu diesem schrecklichen Augenblick zurückkehrten — zu Saddlers schrillen Schreien. Einmal mußte er stehenbleiben und sich übergeben, aber in seinem Magen war kaum noch etwas, das er von sich geben konnte.
    Als sie endlich das Ende des Kliffpfades erreicht hatten, blieben sie stehen und rangen nach Luft, als ob sie um ihr Leben gerannt wären, obwohl sie sich fast die ganze Stunde seit dem Angriff noch nicht einmal in normalem Schrittempo bewegt hatten. Mickael Westerbur und Balk waren aschfahl vor Angst; sie knieten nieder und beteten, wenn Vansen sich auch nicht vorstellen konnte, zu welchen Göttern. Auch Willow war sichtlich verängstigt, saß aber einfach nur auf einem Stein, so geduldig wie ein bestraftes Kind.
    Der junge Davis stand da, den Bogen noch in der Hand, den letzten Pfeil angelegt. In seinen Augen standen Tränen.
    »Was war das?« fragte er seinen Hauptmann schließlich.
    Ferras Vansen konnte nur den Kopf schütteln. »Habt Ihr es getroffen?«
    Es dauerte einen Moment, bis Davis antwortete, so als müßte Vansens Stimme erst durch einen langen Hohlweg zu ihm dringen. »Getroffen?«
    »Ihr habt doch auf das Ding geschossen. Ich möchte wissen, was passiert ist, für den Fall, daß es wiederkommt. Habt Ihr es getroffen?«
    »Ich habe gar nicht versucht, es zu treffen, Hauptmann.« Davis wischte sich das Gesicht mit dem Handrücken. »Ich wollte ... ich wollte Collum töten ... ehe es ihn verschleppt. Aber ich konnte nicht sehen, ob ... ob ich ...«
    Vansen schloß einen Moment die Augen. Er legte die Hand auf die bebende Schulter des jungen Soldaten. »Mögen die Götter Euch einen sicheren Schuß gewährt haben, Doff.«
     
    So traurig und still war der ganze Trupp, so niedergeschmettert, daß Vansen, als er den Mond wiedersah, nichts davon sagte, weil er keine Hoffnung wecken wollte, nur damit sie wieder zerschlagen wurde. Doch als er noch eine Stunde schweigend hinter dem Mädchen hergetrottet war, war einfach nicht mehr zu übersehen, daß sich der Nebel verzog. Da war nicht nur der Mond — auch Sterne sprenkelten jetzt den Himmel, so kalt funkelnd wie Eiskristalle.
    Sie gingen durchs hohe Gras feuchter Hangwiesen und durch immer weiter verstreute Waldinseln, nach wie vor vom leisesten Geräusch alarmiert, aber nach einer Weile war Vansen sich sicher, daß sich wirklich etwas verändert hatte. Der Mond hing jetzt tief am Himmel, einem Himmel, der bisher stets von Nebel und Wolken verhangen gewesen war.
    Sie waren alle zum Umfallen müde, und Vansen erwog kurz, anzuhalten und ein Feuer zu machen, damit sie ihre nassen Kleider trocknen und ein klein wenig Schlaf ergattern konnten, aber er hatte Angst, wenn er die Augen zumachte, würde er, sobald er sie wieder aufschlüge, ringsum nur silbriges Nichts sehen. Außerdem marschierte Willow trotz ihrer Müdigkeit so zielstrebig voran wie ein Pferd, das nach einem langen Tag dem Stall entgegenstrebt, und er wollte sie darin nicht stören. Jetzt, da der Nebel dünner geworden war, löste er die Hand von ihrem zerrissenen Rock, ließ sich zurückfallen und begleitete jeden der drei Männer eine Weile, ging einfach nur neben ihm her, ohne etwas zu sagen, außer derjenige sagte etwas zu ihm. Er konnte nicht so tun, als wäre das alles nicht nur noch die Verwaltung des Desasters, aber er konnte doch aus dem, was da war, das Beste machen.
    Sie marschierten weiter, durch enge, schattendunkle Täler und über mondhelle Hügel. Die Farbe des Himmels veränderte sich jetzt von Schwarz zu einem lilastichigen Grau, und zum erstenmal seit Tagen begann Vansen wirklich zu glauben, daß sie doch noch hinausgelangen würden.
    Aber wohin? Mitten in dieses Elbenheer? Oder werden wir feststellen, daß wir hundert Jahre umhergewandert sind wie in einem dieser alten Märchen, und daß die Welt und die Menschen, die wir kannten, verschwunden sind?
    Doch trotz dieser bedrückenden Gedanken mußte er lächeln, als er den ersten Sonnenschimmer am Horizont sah. Tränen stiegen ihm in die Augen, so daß der helle Himmelsstreifen einen Moment lang verschwamm. Es würde doch wieder so etwas wie Tageslicht geben. Es würde wieder Osten und Westen, Norden und Süden geben.
    Die Sonne sengte sich erst durch den Nebel, als sie schon ziemlich hoch am Himmel stand. Aber es waren zweifellos die echte Sonne und der echte Himmel. Jetzt wollte niemand mehr haltmachen.
    Und was das allererstaunlichste war: Noch ehe die Sonne

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