Die Grenze
etwas sagen! Als ob unser geliebter Autarch, gepriesen sei sein Name, überhaupt deinen Tod wollen könnte. Du hast doch nichts getan, was ihn hätte aufbringen können. Du warst doch ein braves Mädchen.«
Qinnitan seufzte und versuchte sich zu sagen, daß Luian sicher recht hatte. Es fühlte sich auch nicht wirklich wie eine Vergiftung an oder jedenfalls nicht so, wie sie sich vorstellte, daß sich so etwas anfühlte. Ihr tat nichts weh, und sie war auch nicht wirklich krank — sie hatte sogar einen ausgesprochen guten Appetit und schlief auch gut, wenngleich manchmal ein bißchen zu lange und zu tief —, aber irgend etwas war trotzdem seltsam. »Ihr habt natürlich recht, Luian. Ihr habt immer recht.« Sie gähnte. »Ich glaube, ich fühle mich auch schon etwas besser. Ich sollte in mein Zimmer gehen und ein wenig schlafen, statt hier herumzuliegen und Euch nur im Weg zu sein.«
»O nein, nicht doch!« Der Vorschlag schien Luian regelrecht zu bestürzen. »Nein, du ... du solltest einen kleinen Spaziergang mit mir machen. Ja, laß uns ein bißchen im Duftgarten spazieren. Das wird dir guttun, besser als alles andere. Genau das richtige, um diese Spinnweben wegzuwischen.«
Qinnitan lebte jetzt schon zu lange im Frauenpalast, um nicht zu merken, daß irgend etwas Luian beunruhigte, und es war seltsam, daß sie den Duftgarten vorschlug, der am anderen Ende des Frauenpalasts lag, wo es doch viel einfacher wäre, im Garten der Königin Sodan spazierenzugehen. »Ja, ich glaube, ich könnte einen Spaziergang vertragen. Aber seid Ihr sicher? Ihr habt doch gewiß zu tun ...«
»Was gäbe es Wichtigeres zu tun, als dafür zu sorgen, daß es dir wieder besser geht, Kleines? Komm.«
Im Duftgarten war es wärmer als in den Hallen des Frauenpalasts, aber die Sonnendächer an den hohen Mauern hielten die Temperatur doch erträglich, und die Luft war lieblich, getränkt mit Myrte, Waldrose und Geißblatt: Schon nach kurzer Zeit fühlte sich Qinnitan ein wenig kräftiger. Im Gehen sprudelte Luian einen einzigen Strom trivialer Klagen und Ärgernisse hervor, mit einer atemlosen Stimme, die sie viel jünger wirken ließ, als sie war. Auch zu ihren Dienerinnen war sie heute schärfer als sonst, ja, als eins der Tuani-Mädchen sie versehentlieh mit dem Ellbogen anstieß, schimpfte sie so wild drauflos, daß etliche andere Anwesende, Ehefrauen wie Dienerinnen, herüberguckten und das sonst so ausdruckslos dreinblickende Sklavenmädchen die Oberlippe hochzog, als wollte es gleich fauchen oder gar beißen.
»Oh, jetzt fällt es mir wieder ein«, sagte Luian plötzlich. »Ich habe gestern meinen hübschesten Schal im Ruhepavillon liegenlassen — dort hinten.« Sie zeigte auf eine dunkle Türöffnung, ein ganzes Stück abseits zwischen zwei Buchsbaumhecken. »Aber mir ist so heiß, ich glaube, ich setze mich einfach hier auf die Bank. Bist du so lieb und holst ihn mir, Qinnitan? Er ist rosa. Du kannst ihn nicht übersehen.«
Qinnitan zögerte. Da war irgend etwas Seltsames in Luians Gesicht. Plötzlich hatte sie Angst. »Euer Schal ...?«
»Ja. Bitte, geh ihn holen. Da drin.« Sie zeigte wieder hin.
»Ihr habt ihn liegenlassen ...?« Luian kam fast nie in diesen Garten, und außerdem war es mehr als warm. Warum sollte da jemand einen Schal mitnehmen?
Luian beugte sich zu ihr und zischte leise: »Nun geh ihn schon holen, du dummes kleines Ding!«
Qinnitan sprang auf, erschrocken und jetzt erst recht ängstlich. »Natürlich.«
Als sie sich der dunklen Türöffnung näherte, ging sie unwillkürlich langsamer und horchte nach dem Atem eines Meuchelmörders irgendwo hinter den Hecken. Aber warum sollte Luian zu so rohen Mitteln greifen? Es sei denn, der Autarch selbst hatte befunden, daß das Ganze ein Fehler gewesen war, daß er Qinnitan gar nicht wollte. Vielleicht wartete ja der stumme Riese Mokor, sein berüchtigter Oberwürger, hinter dieser Tür. Oder aber sie war dafür nicht wichtig genug und würde von jemandem wie der sogenannten Gärtnerin, Tanyssa, beseitigt werden. Qinnitan drehte sich um, aber Luian schaute ganz woanders hin und sprach schnell und ein bißchen zu laut auf ihre Sklavinnen ein.
Qinnitans Nerven waren gespannt wie Lautensaiten, und natürlich entfuhr ihr ein leiser Aufschrei, als der Mann aus dem Schattendunkel trat.
»Nicht so laut! Ich glaube, Ihr sucht das hier«, sagte er und hielt ihr einen Schal aus feiner Seide hin. »Vergeßt es nicht, wenn Ihr wieder hinausgeht.«
»Jeddin!« Sie schlug
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