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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Art, daß er und seine geliebte Zwillingsschwester, seine beste und vielleicht einzige Freundin, nie wieder so Zusammensein würden.
    Die Gewißheit traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube: Eine Kluft würde sich zwischen ihnen auftun, etwas Weites und Tiefes. War es der Tod, dessen kalten Atem er förmlich fühlte, oder war es etwas noch Seltsameres? Was es auch war, er begann zu frieren und zu zittern, und es wurde rasch so stark, daß er sich kaum noch im Sattel halten konnte. Plötzlich kippte er vornüber, fiel durch einen dunklen Schacht, um sich schlagend, in ein Nichts, wo eine kalte, wissende Präsenz auf ihn wartete ...
    »Barrick!«
Er hörte ihre erschrockene Stimme wie vom anderen Ende eines mit Menschen gefüllten, lauten Raums. »Barrick, was ist?«
    Das Tosen in seinen Ohren ließ etwas nach. Das graue Tageslicht kehrte wieder und drängte das Dunkel zurück. Er hing tief vornübergebeugt im Sattel, den Kopf fast auf dem Hals seines Pferdes Kessel. »Es geht schon. Laß mich.«
    Wie groß Brionys Angst war, ließ sich daran ablesen, daß sie seinen verkrüppelten Arm gepackt hatte. Er entriß ihn ihr und setzte sich auf. Niemand in ihrer Umgebung schien sie anzustarren, aber daran, wie bemüht sie alle irgendwo anders hinschauten, merkte er genau, daß sie nur schnell den Blick abgewandt hatten.
    »Die Götter machen uns zum Gespött«, sagte er leise.
    Da er ganz mit dem Kampf gegen die Ohnmacht beschäftigt gewesen war, hatte er gar nicht mitgekriegt, daß sie den Sammelplatz erreicht hatten. Die bereits eingetroffenen Kontingente warteten in krummen Reihen auf den Stoppelfeldern vor ihnen, tausend Mann oder mehr, die von ihren Feldwebeln zu so etwas Ähnlichem wie einer militärischen Aufstellung zurechtgescheucht worden waren, aber immer noch nicht gerade wie eine Armee aussahen. Täglich trafen weitere Männer aus entlegeneren Gegenden ein, aber die meisten, die jetzt noch kamen, würden nicht mit diesem Heer nach Westen marschieren, sondern die Festungstruppen verstärken.
    »Sprich nicht so über die Götter«, flehte Briony. »Nicht, wenn du gerade in den Krieg ziehst. Das kann ich nicht ertragen.«
    Er sah sie an, und trotz seiner Scham und seines Elends fühlte er sein Herz fast vor Liebe bersten. Was hatte er denn sonst noch auf der Welt? Was gab es noch, dessen Verlust er fürchtete? Nichts. Er streckte den Arm hinüber und tätschelte ihre Hände, die Schneeflockes Zügel hielten. »Du hast recht, Strohkopf. Tut mir leid. Ich hab's auch nicht wirklich so gemeint. Ich glaube nicht, daß uns die Götter zum Gespött machen.«
    Und das war die Wahrheit. Denn hier, auf dieser weiten Fläche, unter dem tiefhängenden grauen Himmel, hatte Barrick plötzlich befunden, daß er gar nicht an die Götter glaubte.

    Nachdem er irgendwie die tückischen Pfade hinuntergelangt war, die sich unter der Felsgalerie am Ende des Labyrinths verbargen — wer hätte gedacht, daß es überhaupt so etwas wie Pfade hinunter zum Meer der Tiefe gab? Wer benutzte sie denn, die Tempelbrüder? — stand Chert endlich auf den gerundeten Ufersteinen, in einem verrückten Geflimmer von Farben, konnte aber keinen Hinweis darauf entdecken, wie der Junge über das silbrige Meer gelangt war. Er fragte sich wieder, ob ihn die Alten der Erde dafür straften, daß er einen Fremden mit hier heruntergebracht hatte, in die heiligen Mysterien, daß er sich überhaupt ihren tiefgelegenen Wohngründen ohne gebührende Zeremonie genähert hatte. Es kam ihm schon frevlerisch vor, so nah bei dem Leuchtenden Mann zu stehen, der wie ein Berg mitten auf seiner Insel aufragte. Selbst vom Ufer aus konnte er immer noch nicht viel von ihm erkennen, außer der grob einem Mann ähnelnden Form. Aber selbst die war nicht so leicht auszumachen: Das ungleichmäßige Glimmen des Leuchtenden Mannes erhellte die Felsdecke und wurde gleichzeitig vom Meer der Tiefe reflektiert, so daß sämtliche Wände der Höhle mit Schlieren von tanzendem, vielfarbigem Licht überzogen waren.
    Aber warum sollten die Alten mich strafen und den Jungen dort hinüberlassen?
Plötzlich kamen Chert Zweifel. Vielleicht war es ja gar nicht der Junge gewesen, den er dort drüben gesehen hatte — vielleicht war er genarrt worden, vom Schatten einer Fledermaus, von seiner eigenen Müdigkeit oder, was wahrscheinlicher war, von der seltsam berauschenden Luft der tiefsten Mysterien.
    Da sah er wieder eine Bewegung drüben auf der Insel, eine schemenhafte Silhouette vor dem

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