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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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fast schon unfair ist, als ob er allein an Kendricks Tod schuld wäre.
    Sie ritten so lange schweigend dahin, daß Barrick, als sie schließlich doch etwas sagte, schon fast im Sattel eingenickt war und zuerst gar nicht verstand, was sie meinte.
    »Er wird die Stadt nicht verteidigen.«
    »Wer? Welche Stadt?«
    »Avin Brone«, sagte sie, als ob der Name übel schmeckte. »Den Rest von Südmark natürlich, den Festlandsteil. Er sagt, die Mauern seien zu lang und auf der Landseite zu niedrig, und die Stadt sei zu schwer zu verteidigen.«
    »Da hat er recht. Wie sollten wir das machen?« Barrick zeigte auf das Gewirr von Giebeldächern, das sich entlang der Küste und landeinwärts bis an die Hügel erstreckte. Er war froh, von seinen eigenen bedrückenden Gedanken abgelenkt zu werden, aber es kam ihm seltsam vor, mit seiner Schwester über so etwas zu reden, als ob sie beide spielten, daß sie erwachsen wären.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Aber wir können unmöglich all die vielen Menschen in der Festung unterbringen ...«
    »Die Götter mögen uns bewahren, Briony, das können wir allerdings nicht! Man könnte nicht mal ein Viertel von ihnen in die Burg lassen, ohne daß es zu eng wäre, um sich hinzusetzen. Und ernähren könnten wir sie schon gar nicht.«
    »Dann sollen wir sie also einfach im Stich lassen, wenn es zu einer Belagerung kommt?«
    »Wir müssen hoffen, daß es nicht dazu kommt. Denn sonst müßten wir diese Leute nicht nur sich selbst überlassen, wir müßten sogar diesen Teil der Stadt niederbrennen.«
    »Was? Nur damit den Belagerern die Vorratsspeicher nicht in die Hände fallen?«
    »Und das Holz und alles andere, was wir nicht vernichtet hätten. Tatsächlich wirst du ... werden wir ... wahrscheinlich zusehen müssen, wie die Katapulte die Steine unserer eigenen Stadt auf uns schleudern.«
    »Das weißt du doch gar nicht und Avin Brone auch nicht.« Es klang weniger wütend als traurig. »Niemand weiß doch irgend etwas! Es hat doch seit einem halben Jahrhundert hier in den Markenlanden keine Belagerung einer richtigen Stadt mehr gegeben — ich habe Vater mal darüber sprechen hören. Manche Leute sagen sogar, es wird überhaupt keine mehr geben, wegen der Kanonen und Bombarden und ... all diesen Dingern, die Steine und Eisenkugeln durch die Luft schießen. Da ist das alles doch sinnlos.«
    Es ärgerte Barrick, daß ihm seine Schwester Vorträge über das Kriegswesen hielt. Und noch mehr ärgerte ihn, daß sie offenbar besser aufgepaßt hatte als er. »Sinnlos? Und was sollten wir deiner Meinung nach tun? Uns einfach ergeben?«
    »Das habe ich nicht gemeint, und das weißt du wohl.«
    Schweigend ritten sie dahin, die Küste entlang und ins südliche Landsend. In der kalten Luft lagen nur der frische Duft der Kiefern und der allgegenwärtige Geruch des Meeres.
    Schließlich sagte Briony: »Wir wissen doch gar nicht sicher, daß es eine Belagerung geben wird, Barrick. Wir wissen nicht mal, was diese Zwielichtkreaturen vorhaben — sie sind ja keine Menschen, sie sind doch etwas anderes. Nur die Götter können absehen, was sie tun werden.«
    »Wir werden schon bald eine Vorstellung davon haben. Wenn sie wirklich in Dalerstroy eingefallen sind, werden wir Leute treffen, die uns sagen können, was das für Kreaturen sind und wie sie kämpfen. Wir werden dir Nachricht schicken, sobald wir irgend etwas hören.«
    Sie wandte sich ihm jäh zu. »Oh, Barrick, du wirst doch vorsichtig sein? Ich bin so wütend auf dich. Ich will nicht, daß du gehst.«
    Er spürte, wie er erstarrte. »Ich bin alt genug, um selbst zu entscheiden.«
    »Aber das heißt doch noch nicht, daß es richtig ist.« Sie starrte ihn an, schüttelte den Kopf. »Ich habe Angst um dich. Laß uns nicht mehr streiten. Aber ... aber, bitte, tu nichts Törichtes. Ganz gleich, was ... was du für Träume hast. Was du befürchtest.«
    Die kalte Schwere, die den ganzen Tag wie ein Schatten auf ihm gelegen hatte, durchdrang jetzt plötzlich ein Strahl schmerzlicher Liebe. Er betrachtete seine Schwester, ihr so unendlich vertrautes Gesicht — sein eigenes Gesicht, aber in einem hellen Spiegel, klar und offen, wo seins verkniffen und verschlossen war, rosig und golden, wo seins zornrot und leichenblaß war —, und wollte, es wäre anders gekommen. Denn so wie er sich an diesem Morgen auf einmal ganz sicher gewesen war, daß ein unaufhaltsamer Rutsch in den Abgrund begonnen hatte, wußte er jetzt plötzlich tief drinnen, auf eine wortlose

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