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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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in eine andere Richtung davonzuwieseln, wurde aber wieder bestraft. Nachdem sich alle Richtungen als gleichermaßen gefährlich erwiesen hatten, duckte sich die Ratte tief an den Boden und verharrte reglos, bis auf das Pumpen der Flanken und das ängstliche Zwinkern der Augen.
    »Er lernt, der Rattling«, sagte Giebelgaup befriedigt.
    »Nehmt etwas von der Leuchtkoralle mit«, erklärte Chert, brach eins der hellsten Stückchen ab und tränkte es gründlich mit Salzwasser. Der Dachling befestigte es unter einem der Riemen des Rattengeschirrs. »Damit könnt Ihr an den dunklen Stellen besser sehen. Gute Reise, Giebelgaup. Und danke für Eure Hilfe und Eure Freundlichkeit.« Er wollte noch mehr sagen — er hatte das Gefühl, daß dieser winzige Mann für ihn inzwischen mehr war als nur eine bizarre Bekanntschaft, daß sich trotz aller Unterschiede eine Freundschaft zwischen ihnen entwickelt hatte, aber Gefühlsäußerungen waren Cherts Sache nicht. Und außerdem war er müde und hatte große Angst. »Die Alten der Erde mögen Euch beschützen.«
    »Und der Herr des Höchsten Punkts möge über Euch wachen, Chert von Blauquarz.« Der Dachling hieb der Ratte die Stiefelfersen in die Hanken, aber das Tier rührte sich nicht. Giebelgaup Matschte ihm mit dem Bogen auf die Kruppe, und es schoß vorwärts. Er bearbeitete immer noch das Hinterteil der Ratte mit dem Bogen — diesmal, um sie zu einer Richtungsänderung zu bringen —, als Reiter und Reittier im Dunkel des ansteigenden Pfads verschwanden; das letzte, was Chert sah, war ein entschwindendes Lichtpünktchen, das auf dem Rattenrücken festgeschnallte Korallenstück.
    »Falls selbger Euch noch zu finden vermag, unter dem ganzen verflixten Stein!« rief Giebelgaup Chert noch zu, und sein Stimmchen klang bereits meilenweit weg.

    Auch die letzten Nachzügler des Heeres waren schließlich um die Biegung der Küstenstraße verschwunden, auf dem Marsch in Richtung Settländerstraße und Hügelland, und zurück blieben nur ein paar hundert Zuschauer und ein zertrampeltes, matschiges Feld. Briony wußte, das war nicht recht — der Abmarsch der Truppen hätte mit Trompetenschall und einer Parade durch die Straßen erfolgen sollen, aber es war keine Zeit mehr gewesen, so etwas zu organisieren, und wenn sie ehrlich war, wäre ihr auch gar nicht danach zumute gewesen. Aber den Leuten würde dieser fast schon heimliche Abmarsch angst machen, tausend Männer, die einfach so verschwanden — sonst hatten Kriege fast immer mit großem Gepränge begonnen.
    Vielleicht kommt ja die Zeit für eine andere Art von Krieg,
dachte sie, obwohl sie keine Ahnung hatte, was das sein könnte.
Die Welt verändert sich schließlich so schnell, und nicht nur zum Schlechten. Außerdem sind die Zeiten zu ernst für Paraden und Trompeten.
    Aber andererseits,
dachte sie,
braucht man solche Dinge vielleicht gerade dann am allermeisten.
    Sie konnte nicht essen, und sie konnte nicht aufhören zu weinen.
Barrick war wie ein Mann auf dem Weg zum Galgen,
dachte sie immer wieder. Seine Scherze, seine fröhlichen Abschiedsworte, als er ihr noch einen letzten Kuß gegeben hatte — nichts von alldem hatte sie täuschen können. Rose und Moina versuchten verzweifelt, sie dazu zu bringen sich hinzulegen, aber schlafen war das letzte, was Briony jetzt gekonnt hätte, und außerdem war ja erst später Nachmittag.
    Oh, Barrick!
dachte sie.
Du hättest bei mir bleiben sollen. Du hättest hierbleiben sollen.
Sie zog wütend die Nase hoch, ignorierte das von einer Dienerin dargebotene Taschentuch und benutzte statt dessen ihren Ärmel. Das Aufstöhnen ihrer Zofen bereitete ihr wenigstens ein bißchen Vergnügen.
    »Ich werde jetzt zum Konnetabel gehen«, erklärte sie. »Er sagte, es gebe Wichtiges zu besprechen — Vorbereitungen für den Belagerungsfall sicherlich. Und mit Vogt Nynor muß ich darüber reden, wie wir das neue Truppenkontingent versorgen, das gerade aus Helmingsee gekommen ist.«
    »Aber ... aber sollten sie nicht lieber zu Euch kommen?« fragte Rose.
    »Ich gehe hin. Ich muß mich bewegen.« Gleich ging es ihr besser. Etwas zu tun zu haben, war so viel besser, als hilflos herumzusitzen und nur daran zu denken, daß Barrick und die anderen jetzt dort draußen waren, auf dem Weg in ... was?
    Sie ging los; ihre Jungfern trippelten hinter ihr her wie Wachtelküken, ihrerseits einen Trupp besorgter Wachen im Schlepptau. Auf halbem Weg durch den Inneren Zwinger fiel Briony plötzlich ein, was sie gestern

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