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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Unterschenkel. Inzwischen hatte sie einen Nachteil von Männerhosen erkannt — da war nichts, was die Schienbeine vor spitzen und harten Dingen schützte.
    Utta schien die Gedanken der Prinzregentin lesen zu können, jedenfalls lächelte sie. »Es ist nett, daß Ihr mich besucht.«
    »Es hat nichts mit Nettigkeit zu tun. Ich bin unglücklich. Ich habe niemanden zum Reden.« Im Aufblicken sah sie gerade noch den gekränkten Blick, den Rose und Moina wechselten. »Niemanden außer den beiden hier«, sagte sie schnell, »und denen habe ich schon so viel vorgejammert, daß sie es gewiß leid sind, irgend etwas aus meinem Munde zu hören.«
    »Niemals, Hoheit!« sagte Rose so hastig und beflissen, daß Briony schon fast lachen mußte. Jetzt
wußte
sie, daß die beiden es leid waren, ihr zuzuhören.
    »Wir machen uns Sorgen um Euch, Briony, das ist alles«, pflichtete ihr Moina bei, und die Tatsache, daß sie die gebührende Anrede vergaß, bewies, daß sie die Wahrheit sagte.
    Sie sind lieb und gut,
diese Mädchen, dachte sie, und einen Moment lang fühlte sie sich alt genug, um ihre erwachsene Schwester oder gar ihre Mutter zu sein, obwohl die kleine, blonde Rose so alt war wie sie und die dunkle Moina fast ein ganzes Jahr älter.
    »Wie geht es Eurer Großtante?« fragte Utta.
    »Merolanna? Besser. Jetzt, wo all diese Truppenaufgebote hier eintreffen und die Burg voller Gäste ist, ist sie in ihrem Element — wie ein Schiffskapitän bei Sturm. Sie kümmert sich auch um meine Stiefmutter, da Anissas Zeit nahe ist und Chaven es für angebracht hielt zu verschwinden.« Briony war so wütend auf Chaven, daß sie Mühe hatte, es bei einem leisen Knurren zu belassen. Sie klopfte sich Buchsbaum von Hosen und Tunika, richtete sich dann auf. Trotz der kalten Brise von der Bucht her duftete es stark nach Ysop und vor allem nach Lavendel, aber das besänftigte sie auch nicht. Sie fragte sich, ob sie wohl je wieder irgend etwas besänftigen würde. »Und Ihr, Schwester? Geht es Euch gut?«
    »Meine Gelenke schmerzen — das tun sie immer, wenn der Wind auffrischt. Wenn Ihr nach drinnen gehen wollt, habe ich nichts dagegen.«
    »Ich kann Euch bei diesem ganzen Lärm sowieso kaum verstehen, und im Freien ist es bestimmt nirgendwo besser. Wo sollen wir hingehen?«
    »Ich wollte zum Schrein gehen und ein Opfer darbringen, für die sichere Rückkehr Eures Bruders und der übrigen Männer. Dort ist es still. Was meint Ihr?«
    »Ich meine, das ist eine sehr gute Idee«, erklärte Briony. »Rose, Moina, hört auf, den Männern dort auf der Mauer schöne Augen zu machen, und kommt mit.«
    Der Zorienschrein der Burg hatte nichts von der ostentativen Pracht der Erivorkapelle, geschweige denn des riesigen, majestätischen Trigonatstempels: Er war kaum mehr als ein großer Raum und befand sich in einer Ecke des Burghofs, neben dem Palast und unmittelbar am Fuß des Sommerturms. Der Altar war schlicht, und Tageslicht fiel nur durch ein kleines Buntglasfenster, eine aus dem vorigen Jahrhundert stammende Zoriendarstellung. Die Göttin hatte die Arme ausgebreitet, und Seevögel flogen um ihren Kopf und ließen sich auf ihren Händen nieder. Briony hatte schon immer gefunden, daß das Buntglasbild von einer seltsamen Schönheit war, und selbst an diesem eher trüben Tag leuchteten die Farben. Der Raum war leer, obwohl Briony wußte, daß in den angrenzenden Wohnräumen eine ältere Zorienpriesterin und zwei, drei junge Novizinnen lebten. Sie waren Freundinnen von Utta — im Grunde ihre Familie, da ihre leiblichen Verwandten auf den vuttischen Inseln so fern waren, nicht nur räumlich. »Wann habt Ihr das letzte Mal jemanden von Eurer Familie getroffen?« fragte sie ihre Lehrerin. »Von Eurer richtigen Familie, meine ich.«
    Utta schien verdutzt über die Frage. »Mein Bruder hat mich vor ein paar Jahren hier besucht, und davor — nun ja, Prinzessin Briony, ich habe keinen von ihnen mehr gesehen, seit ich in die Schwesternschaft eingetreten bin.«
    Was mindestens dreißig Jahre her sein mußte,
dachte Briony. »Sehnt Ihr Euch nach Ihnen?«
    »Ich sehne mich nach der Zeit zurück, als ich jung war. Ich sehne mich nach dem Gefühl zurück, in diesem Haus zu sein, dort auf der Insel, und es für den Mittelpunkt der Welt zu halten. Ich sehne mich nach dem zurück, was ich damals für meine Mutter empfand, auch wenn sich das später dann änderte.« Sie senkte den Kopf. »Doch, ja, ich sehne mich wohl nach ihnen.«
    Briony fand es seltsam, daß man

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