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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Glühen des Leuchtenden Mannes, und all seine Zweifel waren weggefegt. »Flint!« schrie er, indem er die Hände wie einen Trichter an den Mund hielt und auf dem steinigen Ufer auf und ab sprang. »Flint! Ich bin's, Chert!«
    Er bildete sich ein, daß der Schatten für einen Moment erstarrte, aber es kam keine Antwort auf sein Rufen, und dann verschwand die Silhouette in dem wirren, pulsenden Licht.
    Fluchend lief er wieder am Ufer auf und ab, fand aber immer noch keinen Hinweis darauf, wie der Junge das unterirdische Metallmeer überquert hatte. Erschöpft und enttäuscht vor sich hin murmelnd stand er da, als ihm plötzlich einfiel, daß da ja noch ein kleines Wesen war, für das er die Verantwortung trug und das er in der Aufregung, endlich den Jungen entdeckt zu haben, ganz vergessen hatte.
    »Giebelgaup! Felsriß und Firstenbruch, ich habe ihn über eine Stunde dort oben gelassen, allein!« Und krank, mit Atemschwierigkeiten. Seine eigene Hilflosigkeit traf Chert wie ein Dolchstich — so vieles, was aus dem Ruder gelaufen war, und keine Möglichkeit, irgend etwas davon wieder in Ordnung zu bringen. Der Junge — alles lief schief, seit dem Moment, da Opalia und er gesehen hatten, wie dieser Sack hinter der Schattengrenze abgeworfen wurde.
    Wir hätten ihn dort liegenlassen sollen,
dachte er, und trotz seines wehen Herzens, obwohl er das hellhaarige Kind, wie er zugeben mußte, wirklich liebte, war es schwer, gegen diesen Gedanken anzuargumentieren.
    Er mühte sich den Pfad wieder hinauf. Es war kaum mehr als ein Ziegenpfad — aber wer hatte je von Ziegen gehört, die tausend Fuß unter der Erde lebten? Kaum war ihm dieser Gedanke durch den Kopf gegangen, da sah er plötzlich etwas Schimmerndes weiter oben im Fels, etwas Helles, das zwischen ihm und der Felsgalerie am Ende des Labyrinths stand. Verdutzt starrte er zu dem Etwas empor, das in dieser heißen, flackernden Tiefe nur eine Fiebervision sein konnte.
    Selbst droben an der Oberfläche, in der Wachwelt — zumindest diesseits der Schattengrenze —, gab es so etwas nicht: ein Tier, so hell weiß, daß es fast schon durchscheinend war, einen Geisterhirsch mit absurd schlanken Beinen und einem Geweih wie ein Gewirr von Wurzelsprossen, ganz zu schweigen von den riesigen, milchig blauen Augen, die wie Kerzenflammen glühten. Aber genau das schien von dort oben auf ihn herabzustarren, jedenfalls einen verblüffenden Moment lang. Einen Herzschlag daraufwar es verschwunden.
    Chert blieb stehen, klammerte sich an einen Felsvorsprung. Ihm war plötzlich schwindlig, und er hatte Angst abzustürzen. Konnte das wirklich real gewesen sein? Oder hatte er zuviel von den Mysterien eingeatmet?
    Oh, Herr des Heißen, Nassen Steins, hilf mir — war das, was ich auf der Insel gesehen habe, auch so etwas? War es gar nicht Flint?
Aber wenn das Spiel von Licht und Schatten die Gestalt dort auf der Insel nicht ganz und gar verzerrt hatte, dann war es ein Wesen mit zwei Beinen und einem runden Kopf gewesen — kurzum, ein Mensch.
    Chert erfüllte jetzt eine so gewaltige Furcht vor den Göttern und ihren heiligen Stätten, daß ihm ganz schlecht war, als er endlich die Stelle erreichte, wo er Giebelgaup zurückgelassen hatte: Er mußte ein paarmal hinsehen, bis er sich ganz sicher war, daß er wirklich vor demselben Felshubbel stand, auf dem er den Dachling deponiert hatte. Obwohl seine Korallenlampe noch da lag, wo er sie hingelegt hatte, und immer noch glomm.
    Der kleine Mann aber war nirgends zu sehen.
    Mit einem Gefühl im Magen, als müßte er sich gleich übergeben — alle, die ihm anvertraut waren, hatte er verloren, alle, die ihn am meisten brauchten! —, ging Chert auf alle viere, leuchtete den Boden ab und suchte verzweifelt am Fuß des Kalksteinhubbels nach irgendeiner Spur seines Gefährten. Er konnte nur zu denselben Göttern, an denen er gefrevelt hatte, beten, daß Giebelgaup, wenn er ihn fand, noch lebte.
    Es war sehr entwürdigend, so am Boden zu krauchen, aber das kümmerte ihn nicht. Er suchte weiter, bis er plötzlich ein leises Stimmchen vielleicht zwei, drei Schritt von seinem Ohr sagen hörte: »Ist Euch etwas entfallen?«
    »Giebelgaup! Wo seid Ihr?«
    »Gleich hinter jenem seltsamen Verhau von steinernen Ich-weiß-nicht-was, doch gebt mir acht, daß Ihr Euch leise nähert. Verjagt ihn nicht!«
    »Wen?«
Der Funderling kroch auf die Stimme zu, und zum erstenmal, seit ihm klar geworden war, daß er die Insel des Leuchtenden Mannes nicht erreichen konnte,

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