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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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daß sie eine ganze Weile das Gefühl gehabt hatte, es wäre niemand im Raum außer ihr und dem dunkelhäutigen Fremden.
    »Dann ... dann gebt Ihr also Shaso die Schuld am Tod seiner Tochter?«
    Er zuckte die Achseln. »Weise Menschen könnten mit allerlei Sichtweisen spielen, Hoheit, und die Wahrheit scheint zuweilen höchst wandelbar. So sind nun einmal die Zeiten, in denen wir leben.«
    »Was heißt, Ihr wollt diese Frage nicht geradeheraus beantworten, nachdem Ihr das Bild bereits so hübsch gezeichnet habt, ohne ihn direkt anschwärzen zu müssen. Aber wenn Ihr so denkt, dann glaubt Ihr wohl auch, daß er der Mörder meines Bruders sein könnte.«
    Dawet schien überrascht. »Hat er denn nicht gestanden? Jemand hat mir erzählt, er habe es zugegeben. Ich dachte, Ihr verhört mich nur deshalb zum Tod Eures Bruders, weil Ihr feststellen wollt, ob ich als Shasos Landsmann auch sein Bundesgenosse bin. Aber ich versichere Euch, Hoheit, fragt irgendeinen Tuani jenseits des Kleinkindalters, und er wird Euch von Shasos berüchtigtem Haß auf mich erzählen.« Er runzelte die Stirn. »Falls aber nicht bewiesen ist, daß er es war — nein, ich halte ihn nicht für einen Mörder.«
    »Was?« Es kam viel lauter heraus, als Briony gewollt hatte. Gailon von Gronefeld sah sie tadelnd an. Einen Moment hatte sie gute Lust, den jungen Herzog in Fußeisen schlagen zu lassen — Königinnen konnten so etwas tun, warum dann nicht auch Prinzregentinnen? Bei all seinen schlechten Eigenschaften guckte Dawet dan-Faar wenigstens nicht wie eine alte Hofdame, nur weil sie etwas lauter geworden war. »Scherzt Ihr?« fragte sie. »Ihr haßt diesen Mann doch — das spricht doch aus jedem Eurer Worte und Blicke!«
    Der Gesandte schüttelte den Kopf. »Ich mag ihn nicht, und so wie er meint, ich hätte ihm etwas angetan, meine ich, daß er mir noch viel Schlimmeres angetan hat. Aber daß ich ihn nicht leiden kann, macht ihn noch nicht zum Mörder. Ich kann nicht glauben, daß er irgend jemanden heimtückisch ermorden würde, und schon gar nicht ein Mitglied Eurer Familie.«
    »Was soll das heißen?«
    »Jedermann weiß, daß er Eurem Vater gegenüber eine Ehrenschuld zu begleichen hat. Als mein Vater gegen den vorigen Autarchen, Parnad den Nimmermüden, zu Felde zog, kehrte Shaso nicht nach Tuan zurück, um ihm beizustehen, weil er den Treueid, den er Eurem Vater geleistet hatte, nicht brechen konnte. Aus demselben Grund kehrte er auch nicht zurück, als seine Frau krank war, ja nicht einmal zu ihrem Begräbnis. Und jetzt fragt Ihr mich, ob ich glaube, daß er Olins Sohn getötet hat? Trunken und heimtückisch? Es mag ja sein, daß Xand schon stolzere und prinzipientreuere Männer hervorgebracht hat als Shaso dan-Heza — aber gesehen habe ich noch keinen.«
    Seine Worte machten sie noch unsicherer, nicht nur, was Shasos Schuld anging. War dieser Dawet ein gerissenes Ungeheuer oder ein verkannter Mensch? Die Leute hielten Barrick oft für unfreundlich, ja, sogar hartherzig, weil sie nur einen Teil von ihm sahen.
    Barrick.
Sie schrak auf.
Er liegt krank im Bett. Ich muß zu ihm.
Tatsächlich hatte dieses Gespräch sie ziemlich verwirrt: Es war ihr gar nicht unrecht, es zu beenden. »Ich werde Eure Worte erwägen, Dawet. Ihr könnt jetzt gehen.«
    Er verbeugte sich abermals. »Noch einmal mein aufrichtiges Beileid, Hoheit.«
    Als er gegangen war, beobachteten die Kronratsmitglieder sie immer noch, aber ihre Mienen waren jetzt undurchdringlicher als vorher. Plötzlich ging ihr auf, daß sie die meisten ihr Leben lang kannte, all diese Nachbarn, Freunde der Familie oder gar Verwandte, daß sie aber keinem einzigen von ihnen wirklich traute.
    »Mach dich keinem gegenüber verletzlich außer deiner Familie«, hatte ihr Vater einmal gesagt. »Das ist ein so kleines Häuflein, daß du sie alle genau im Blick behalten kannst.« Damals hatte sie es für einen Scherz gehalten.
    Aber ich habe ja sowieso kaum noch Familie,
dachte sie.
Mutter und Kendrick sind tot, Vater ist weg und kommt vielleicht nie mehr wieder. Ich habe nur noch Barrick.
    Der Raum schien voller feindseliger Gesichter. Plötzlich wollte sie nur noch zu ihrem Zwillingsbruder. Sie stand auf und verließ wortlos den Thronsaal, so schnell, daß die Wachen hinter ihr herhasten mußten.

    »Das wird nicht leicht«, erklärte Chert Opalia, während er den letzten Rest Suppe löffelte. »Wir haben nicht genug Männer, um die Sache richtig zu machen, und die Zunft kann wohl auch so schnell

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