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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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würde, aber ein Exempel galt es auf jeden Fall zu statuieren. Es ging ja wohl nicht an, daß der Prinzregent von Südmark in seinem Bett ermordet wurde und das Ganze nicht mehr Konsequenzen nach sich zog als der Diebstahl eines Apfels vom Karren eines Händlers.
    Auf ihr Nicken hin blieben die Wachen stehen und ließen den Mann, den sie hereineskortiert hatten, allein bis an das Podest gehen, wo jetzt die Sessel der Zwillinge nebeneinander vor König Olins Thron standen.
    »Mein tiefempfundenes Beileid«, sagte Dawet dan-Faar mit einer Verbeugung. Er hatte die Prunkkleidung von vor ein paar Tagen gegen dezentes Schwarz eingetauscht. An ihm sah das auf exotische Art elegant aus. »Natürlich vermögen keinerlei Worte Eure tiefe Trauer zu lindern, Hoheit, aber es ist schmerzlich, Eure Familie von einem solchen Verlust betroffen zu sehen. Ich bin sicher, mein Herr Ludis würde ebenfalls wollen, daß ich Euch sein aufrichtigstes Beileid ausdrücke.«
    Briony forschte nach irgendeinem Ausdruck von Spott in seinem Gesicht, einem Fünkchen makabrer Belustigung in seinen Augen. Sie sah jetzt erstmals, daß er nicht mehr jung war, nur zehn Jahre jünger als ihr Vater vielleicht, trotz seiner faltenlosen Haut und des Kinns, das so straff war wie das eines Jünglings. Aber sie konnte nichts Ungebührliches entdecken. Wenn er nur Theater spielte, machte er es hervorragend.
    Trotzdem, das war sein Talent — mußte es sein.
Wenn er kein geübter Schauspieler und Schmeichler wäre, hätte er es wohl kaum zum Gesandten des ehrgeizigen Ludis gebracht.
Außerdem war da die Geschichte von Shasos Tochter, die ihr Barrick erzählt hatte — ein weiterer Grund, diesen Mann zu verachten. Aber es ließ sich nicht leugnen, daß er angenehm anzusehen war.
    »Ihr steht selbst nicht gänzlich außer Verdacht, Dawet, aber meine Wachen sagen, Ihr und Eure Begleiter hättet Euer Quartier nicht verlassen ...«
    »Wie nett, daß sie die reine Wahrheit sagen.« Das anziehende und ganz und gar nicht vertrauenswürdige Lächeln, das sie in Erinnerung hatte, erschien jetzt zum erstenmal wieder, aber nur für einen winzigen Augenblick, dann verscheuchte es der ernste Anlaß. »Wir haben geschlafen, Hoheit.«
    »Mag sein. Aber Mord muß nicht immer vom Hauptschuldigen selbst begangen werden.« Es fiel ihr immer leichter, ein hartes, unbewegtes Gesicht zu machen und fest und streng zu blicken. »Mord kann man auch kaufen, so leicht, wie man eine Pastete beim Pastetenbäcker kaufen kann.«
    Jetzt kehrte das Lächeln wieder. Er schien aufrichtig amüsiert. »Was wißt Ihr von Pastetenbäckern, Prinzessin?«
    »Nicht viel«, gab sie zu. »Aber über Mord weiß ich dieser Tage leider einiges.«
    Er nickte. »Das ist wahr. Und zugleich eine höchst berechtigte Erinnerung daran, daß es, so sehr ich dieses kleine Wortgeplänkel mit Euch genieße — und das tue ich wahrhaftig, Hoheit —, doch ernstere und traurigere Dinge zu klären gilt. Also will ich, statt mich mit großem Aufwand zu entrüsten, nur eine Frage an Euch richten, Hoheit. Welchen Nutzen sollte mir der Mord an Eurem armen Bruder bringen?«
    Sie mußte sich fest auf die Unterlippe beißen, um ein gepeinigtes Aufstöhnen zurückzuhalten. Vor so kurzer Zeit noch war Kendrick am Leben gewesen. Wenn es doch nur eine Möglichkeit gäbe, in den vorgestrigen Tag zurückzuschlüpfen, so wie man durch ein Fenster ins Haus schlüpfen konnte, statt ganz herumzugehen bis zur Tür — die Möglichkeit, rückwirkend etwas am Ablauf dieses schrecklichen Geschehens zu ändern oder es gänzlich zu verhindern. »Welchen Nutzen?« fragte sie, um ihre Gedanken zu sammeln. »Ich weiß nicht.« Ihre Stimme war nicht so fest, wie sie es gern gehabt hätte. Avin Brone und die anderen beobachteten sie — mißtrauisch, wie ihr schien. Als ob sie, nur weil dieser Mann gut aussah und sich auszudrücken wußte, leichtfertiger und leichtgläubiger wäre! Ihre Wangen glühten vor Ärger.
    »Laßt uns offen miteinander reden, Hoheit. Dies sind schlimme Zeiten, und mit Offenheit ist uns wohl allen am meisten gedient. Mein Herr, Ludis Drakava, hält Euren Vater als Geisel, wie auch immer man es umschreiben mag. Wir erwarten entweder eine hohe Summe in Gold oder aber ein noch wertvolleres Lösegeld — weil Ihr, schöne Prinzessin, ein Teil davon seid.« Jetzt war sein Lächeln wieder ein wenig spöttisch. Aber mokierte er sich über sie oder über etwas anderes? Über sich selbst vielleicht? »Aus der Sicht von Hierosol wird

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