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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Fieber!« Briony spürte, wie etwas in ihr aus dem Gleichgewicht zu geraten drohte. »Er hat Schmerzen!«
    Chaven schüttelte den Kopf. »Bei allem Respekt, Hoheit, ich glaube nicht, daß er große Schmerzen hat. Das ist eine der Wohltaten des Fiebers — es dämpft die Schmerzen der Krankheit weitgehend und erlaubt es dem Geist, frei zu entschweben.«
    »Frei?« Sie rang um Beherrschung, aber ihr Finger zitterte, als sie auf ihren sich stöhnend hin- und herwerfenden Zwillingsbruder zeigte. »Schaut Ihn Euch an! Sieht er aus, als wäre er frei?«
    Der zweite Arzt, Bruder Okros, räusperte sich. »Wir haben schon andere in diesem Zustand gesehen, Hoheit, aber vielen ging es bereits nach ein paar Tagen wieder gut.«
    Sie wandte sich ihm zu, dem kleinen, schüchternen Mann von der Ostmark-Akademie in Südmarksstadt, den Chaven hinzugezogen hatte. Okros wich einen Schritt zurück, als fürchtete er, sie könnte ihn schlagen, und für einen Moment überkam sie ein hysterisches Ergötzen an seiner Angst, an der Macht ihres Zorns. »Ach ja? Vielen? Was heißt das? Und wie lange wißt Ihr schon von dieser Fieberseuche?«
    »Seit dem Ende des letzten Festmonats, Hoheit.« Seine Stimme kiekste ein wenig. Okros war Priester, wenn auch wohl hauptsächlich nominell, ein Lehrer der Naturwissenschaften, der seit seiner Erhebung in den Priesterstand vermutlich kaum je einen Trigon-Tempel betreten hatte. »Euer Bruder — Euer anderer Bruder — wurde von uns unterrichtet, als sich die Krankheitsfälle zu häufen begannen. Aber er ...«
    »Wurde ermordet? Richtig.« Sie atmete tief durch, was sie jedoch auch nicht beruhigte. »Ja, das könnte erklären, warum er sich nicht darum gekümmert hat. Wolltet Ihr warten, bis meine ganze Familie auf die eine oder andere Weise umgekommen wäre, ehe Ihr mich von dieser Seuche in Kenntnis gesetzt hättet?«
    »Bitte, Prinzessin«, sagte Chaven. »Briony. Bitte.«
    Diese Anrede rüttelte sie auf; verdutzt sah sie den Hofarzt an. Sie konnte den Ausdruck seines runden Gesichts nicht recht deuten, aber ganz offensichtlich wollte er ihr irgend etwas zu verstehen geben.
Ich führe mich idiotisch auf, das will er mir sagen.
Sie nahm jetzt die Bediensteten und Wachen in Barricks Gemach wahr, und ihr wurde klar, daß draußen noch mehr Burgbewohner standen, das Ohr an der Tür. Sie blinzelte gegen die Tränen an.
Ich jage allen Angst ein.
    »Es ist keine Seuche, Hoheit«, erklärte Okros vorsichtig. »Noch nicht. Solche Fieberwellen haben wir fast jedes Jahr. Diese ist nur ungewöhnlich schlimm.«
    »Sagt mir einfach nur, was jetzt mit meinem Bruder passiert.«
    »Seine Elemente sind aus dem Gleichgewicht«, erklärte Chaven. »Er ist voller Feuer, in gewisser Weise jedenfalls. Ich möchte Euch nicht mit etwas belästigen, das wie uralter Aberglaube klingen mag, aber es ist schwer, Krankheit zu erklären, ohne zu erläutern, inwiefern die Elemente in uns den Elementen außerhalb entsprechen — denen unserer Erde und unseres Firmaments.« Er rieb sich müde das Gesicht. »Deshalb will ich nur sagen, daß sein Blut zu heiß ist, weil die Elemente aus dem Gleichgewicht sind. Normalerweise dienen die Elemente Erde und Wasser in ihm der Erhaltung dieses Gleichgewichts, so wie Stein ein Feuer einzudämmen und Wasser es notfalls zu löschen vermag. Doch im Moment ist er ganz Feuer und Luft, Brausen und Lodern.«
    Brausen und Lodern.
Sie sah angstvoll auf das geliebte Gesicht ihres Bruders, das jetzt so verzerrt und so abwesend war.
Oh, barmherzige Zoria, bitte, nimm ihn mir nicht weg. Laß mich nicht allein an diesem Ort des Schreckens übrigbleiben. Bitte.
    »Viele haben dieses Fieber bereits überlebt, Prinzessin«, sagte der kleine Doktor Okros. »Das wissen wir von Reisenden, die im Süden waren — in Syan und Jellon grassiert es schon seit Monaten.«
    »Vielleicht ist es ja mit dem hierosolinischen Schiff hierhergekommen«, spekulierte Chaven. Er hatte den Pagen vom Bett weggezogen und untersuchte Barrick abermals, prüfte den Geruch seines Atems. Brionys Zwillingsbruder war jetzt etwas ruhiger, murmelte aber immer noch angstvoll im Schlaf vor sich hin, und auf seinem Gesicht glänzte Schweiß.
    »Einerlei«, sagte sie. Es war der grimme, erbarmungslose Wille der Götter, der Schatten der dunklen Schwingen, die sie über sich und ihnen allen gespürt hatte. Es war die Erfülllung ihrer düsteren Vorahnungen. »Es ist doch gleichgültig, wo es herkommt. Sagt mir nur — wie viele sterben daran und wie

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