Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
geheimnisvolle Mitgift reden müssen, aber es hatte keinen Sinn, sich über alles gleichzeitig den Kopf zu zerbrechen. »Den Stein hier nehme ich erst mal an mich«, erklärte er dem Kind. »Nicht für immer, nur weil ich so einen noch nie gesehen habe und mich umhören möchte, ob jemand weiß, was es ist.« Er musterte den Jungen, der ihn ansah, als ob er auf etwas wartete. Es dauerte einen Moment, bis Chert begriff, worauf. »Wenn ich darf, meine ich«, sagte er. »Schließlich hast du ihn ja gefunden.«
    Der Junge nickte befriedigt. Als Chert und Opalia hinausgingen, drehte sich Flint auf den Rücken und starrte an die Decke, während seine Finger das Ledersäckchen drückten.
    Opalia machte sich wieder ans Abräumen, aber Chert saß einfach nur da und drehte den Kristall hin und her. Die Form schien irgendwie künstlich, das war das Seltsame, so regelmäßig — er sah aus, als wäre er von einem größeren Stück abgeschlagen worden, aber da war keine Bruchfläche, im Gegenteil, die Kanten waren alle abgerundet. Und es war eindeutig und unwiderruflich etwas, das er noch nie gesehen hatte. Tief drinnen schien sich ein dunkler Fleck zu bewegen.
    Je länger Chert darüber nachdachte, desto beunruhigender wurde es. Der Stein sah aus wie etwas, das nur von jenseits der Schattengrenze kommen konnte, aber was machte er dann mitten in der Südmarksfeste? Und war es Zufall, daß ihn der Junge auf dem Friedhof gefunden hatte, nur ein paar hundert Schritt von dem Gemach entfernt, wo der Prinz ermordet worden war? Und daß es überhaupt dieser Junge von jenseits der Schattengrenze war, der ihn gefunden hatte?
    Er sah Opalia an, die stillvergnügt ein Loch im Knie von Flints Hose flickte. Er wollte sie so gern fragen, was sie von all dem hielt, wußte aber, daß er selbst in dieser Nacht die meiste Zeit wachliegen würde, und zögerte, ihr den vielleicht für eine ganze Weile letzten ruhigen Schlaf zu rauben. Denn in ihm wuchs jetzt die Angst.
    Was hatte Chaven gesagt?
»Wenn die Schattengrenze über uns hinwegzieht, dann wird sie finsteres Unheil mit sich bringen.«
    Diese Nacht wenigstens soll Opalia noch haben,
befand er.
Diesen einen glücklichen Abend noch.
    »Du bist so still, Chert. Geht es dir nicht gut?«
    »Alles in bester Ordnung, mein alter Schatz«, sagte er. »Keine Sorge.«

10

Brennende Hallen
    Anrufung:

Hier ist das Königreich, hier sind seine Tränen,
Zwei Stäbe

Nichts weiß man über einen vergangenen Tag.

Das Knochenorakel
    Es war immer schrecklich im Land des Schlafs, aber das jetzt war schlimmer als sonst, viel schlimmer. Die langen Hallen und Gänge der Südmarksfeste waren wieder voll von Schattenmännern, diesen ungreifbaren, aber erbarmungslosen Wesen, die von den Decken tropften und dahinflossen wie schwarzes Blut, die aus den Ritzen zwischen den Steinen quollen und dann Gestalt annahmen, gesichtslos und wispernd. Aber in dieser Nacht folgten ihnen überall Flammen, loderte es hinter ihnen, bis es war, als finge die Luft selbst Feuer.
    Wohin er auch ging, tauchten immer mehr von ihnen auf, suppten zwischen den Steinfliesen hervor, verklumpten miteinander, während sie hinter ihm herglitten oder herhuschten, verdichteten sich zu vage menschenähnlichen Formen. Augenlos starrten sie ihn an, und mundlos riefen sie ihm nach, drohend und lockend. Sie verfolgten ihn, viele noch immer mit ihren Brüdern zu einer fast festen Masse verschmolzen, und hinter ihnen kamen die Flammen, erfaßten die Wandbehänge, leckten zu der uralten Decke empor, während er auf seiner aussichtslosen Flucht vor den gesichtslosen Männern durch endlose Räume und Gänge rannte.
    Sie haben Kendrick getötet?
Sein Herz schien schief in seiner Brust zu hängen, seine Lunge brannte. Raum um Raum ging in Flammen auf, aber noch immer verfolgte ihn der Schwarm von Schattenmännern.
    Sie wollen auch mich toten — uns alle!
Die Luft war so heiß, daß sie ihm die Nasenlöcher versengte und in seiner Kehle knisterte, als hätte sich der ganze Palast in einen Backofen verwandelt. Diese Phantome aus Ruß, Schatten und Blut hatten seinen Bruder getötet, und jetzt würden sie ihn töten, ihn jagen wie ein verwundetes Reh und durch endlose brennende Gänge zu Tode hetzen ...

    »Macht ihn wieder gesund!«
    Chaven richtete sich langsam auf. Zu seinen Füßen kauerte ein Page an Barricks Bett und betupfte die Stirn des Prinzen mit einem feuchten Tuch. »Das ist nicht so einfach, Prinzessin ...«
    »Mir egal! Mein Bruder verbrennt vor

Weitere Kostenlose Bücher