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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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der Tod Eures älteren Bruders die Dinge nur komplizieren und die Zahlung des Lösegelds verzögern. Wir haben den König in unserer Gewalt und haben ihm kein Haar gekrümmt — warum sollten wir da den Prinzen ermorden? Daß Ihr mich überhaupt dazu befragt, hat nur den einen einzigen Grund, daß ich ein Fremder hier auf der Burg bin ... und nicht gerade ein Freund. Aber letzteres bedaure ich aufrichtig.«
    Sie durfte sich nicht ablenken lassen. Er war zu gewandt, zu flink — so mußte sich eine Maus vor einer Schlange fühlen. Aber
diese
Maus würde sich nicht so leicht irritieren lassen. »Weil Ihr ein Fremder seid, ja, und weil Ihr kein Freund seid. Und weil mein Bruder, wie Ihr vielleicht wißt, allem Anschein nach mit einem Tuani-Dolch erstochen wurde. Einem wie dem da an Eurem Gürtel.«
    Dawet sah an sich hinunter. »Ich würde ihn ja herausnehmen und Euch zeigen, daß kein Blut daran ist, Prinzessin, aber Euer Gardehauptmann hat ihn in der Scheide festgeschnürt, bevor ich hierhergebracht wurde.«
    Briony sah auf und bemerkte, daß Ferras Vansen, der sie vorher vollkommen ignoriert hatte, sie jetzt unverwandt anstarrte. Unter ihrem Blick aber wurde er rot und schlug die Augen nieder.
Ist dieser Mann nicht ganz bei Trost?
    »Er hätte ihn mir lieber ganz abgenommen«, fuhr Dawet fort, »aber in meinem Volk legt man, wenn man erst einmal das Mannesalter erreicht hat, sein Messer nicht mehr ab. Außer im Bett.«
    Jetzt war es an ihr zu erröten. »Ihr wißt vieles zu sagen, Dawet, aber kaum etwas Stichhaltiges. Messer lassen sich säubern. Den eigenen Ruf kann man nicht so leicht reinwaschen.«
    Er machte große Augen. »Kreuzen wir schon wieder die Klingen, Hoheit, um herauszufinden, mit welchen Mitteln der andere kämpft? Nein, ich glaube, darauf werde ich mich nicht einlassen, denn ich sehe schon, daß Ihr zu jenen gehört, die nur ein Weilchen herumplänkeln, um dann direkt ins Herz zu zielen. Was wißt Ihr über mich, Prinzessin? Oder was glaubt Ihr über mich zu wissen?«
    »Mehr, als mir lieb ist. Shaso hat uns erzählt, was seiner Tochter widerfahren ist.«
    Jetzt war da plötzlich in dem gutgeschnittenen Gesicht etwas, das sie überraschte — nicht die Angst oder Verwirrung eines ertappten Verbrechers, sondern schierer Zorn, wie bei dem Gott Perin, als er auf dem Berg Xandos erwachte und feststellen mußte, daß sein Hammer gestohlen worden war. »Ach ja, hat er das?«
    »Ja. Und er hat auch erzählt, daß Eure rohe Tat sie in den Tempel getrieben hat und daß sie dort gestorben ist.«
    Jetzt verwandelte sich Dawets lodernder Zorn in etwas noch Sonderbareres — ein kontrolliertes, untergründiges Glimmen, ähnlich wie bei Shaso, wenn er sich hinter seine steinerne Miene zurückzog. Kein Wunder, sie waren ja schließlich verwandt. »Gestorben ist sie, ja. Und er hat gesagt, ich hätte sie in den Tod getrieben?«
    »Ist das denn nicht die Wahrheit?«
    Seine lang bewimperten Lider schlossen sich einen Moment. Als sie sich wieder öffneten, sah er ihr direkt in die Augen. »Es gibt viele Wahrheiten, Hoheit. Eine lautet, daß ich ein Mädchen aus einer vornehmen Familie meines Heimatlands auf dem Gewissen habe. Eine andere könnte lauten, daß ich sie geliebt habe und daß die Wunde, die ihr die Weiber im Palast mit ihrem dummen Geschwätz zugefügt haben, weit schwerer wog als alles, was ich ihr je angetan habe. Und daß ich sie, nachdem ihr Vater sie aus dem Haus gejagt hatte, aufgenommen und zu meiner Frau gemacht hätte, daß sie es aber nicht ertragen konnte, von ihren Eltern für immer verstoßen zu werden. Sie hatte immer noch die — in meinen Augen törichte — Hoffnung, daß sie sie eines Tages wieder aufnehmen würden. Also ging sie statt dessen in den Tempel. Und dort starb sie? Jawohl. An gebrochenem Herzen? Ja, vielleicht. Aber wer hat ihr Herz gebrochen?« Er schüttelte den Kopf und sah zum erstenmal in die Runde der Edlen von Südmark. Jetzt, da sein Blick nicht mehr auf ihr ruhte, merkte Briony, daß sie sich in ihrem Sessel vorgebeugt hatte. »Wer hat es gebrochen?« fragte er noch einmal leise, aber so eindringlich, als spräche er tatsächlich den ganzen Saal an. »Das ist eine Frage, über die selbst die Weisesten streiten könnten.«
    Ein wenig unsicher lehnte sie sich zurück. Die Edelleute, vor allem die Kronratsmitglieder, musterten sie argwöhnisch. Dieses Mal konnte sie es ihnen kaum verdenken: Ihr wurde jetzt bewußt — und es mußte für alle offenkundig gewesen sein —,

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