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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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keine mehr auftreiben — die Beisetzung ist schon in fünf Tagen. Also werfen wir den Schutt jetzt in die Stollen, an denen wir vor dem Tod des Prinzen gearbeitet haben. Das muß dann hinterher alles wieder herausgeschafft werden.«
    »Wer kann nur so etwas Schreckliches tun?« sagte sie.
    Im ersten Moment wußte Chert, der in Gedanken ganz bei seiner Arbeit war, nicht, wovon sie sprach. »Ah, du meinst, den Prinzen ermorden?«
    »Natürlich meine ich das, du alter Dummkopf. Was sonst?« Die finstere Miene, die sie hauptsächlich aus Effektgründen aufgesetzt hatte, wurde weicher. »Auf dieser Familie liegt ein Huch. Das sagen die Leute auf dem Steinbruchsplatz. Der König in Gefangenschaft, der jüngere Prinz verkrüppelt und jetzt das. Und daß die Mutter der Kinder gestorben ist, gehört wohl auch dazu, obwohl das schon Jahre her ist ...« Sie runzelte die Stirn. »Aber was ist mit der neuen Königin? Wenn diesen armen Zwillingen etwas zustößt, ist dann ihr Kind Thronfolger? Stell dir vor ... noch ehe es auf der Welt ist.«
    »Felsriß und Firstenbruch, Weib, die Zwillinge sind am Leben — willst du Unheil auf sie herabbeschwören? Bring die müßigen Götter nicht auf irgendwelche Gedanken.« Die Vorstellung, daß dieser jungen Briony, die so freimütig und freundlich mit ihm geredet hatte wie mit einem Freund oder Familienmitglied, etwas zustoßen könnte, machte ihn so beklommen, wie es der ganze Tag in der königlichen Gruft nicht vermocht hatte. »Wo ist Flint?«
    »Im Bett. Er war müde.«
    Chert stand auf und ging ins Schlafzimmer, wo jetzt Flints Strohsack zu Füßen ihres eigenen Betts lag. Der Junge stopfte rasch etwas unter das zusammengerollte Hemd, das ihm als Kopfkissen diente.
    »Was ist das? Was hast du da, Junge?« Ein normales Kind hätte wahrscheinlich alles abgestritten, dachte Chert, als er sich bückte, aber Flint verfolgte nur mit verhaltener Aufmerksamkeit, wie er unter das Hemd griff und eine verwirrende Kombination von Formen zu fassen bekam.
    Als er seine Beute hervorzog und im Lampenlicht musterte, sah er, daß es sich um zwei separate Gegenstände handelte, ein kleines schwarzes Säckchen an einer Kordel, das ihm irgendwie bekannt vorkam, und ein durchscheinender, grauweißlicher Stein.
    »Was ist das?« fragte er und hielt das Säckchen hoch. Was auch immer darin steckte war hart und fast so schwer wie Stein. Das Säckchen war oben zugenäht und mit aufwendigen, hübschen Stickereien verziert. »Wo hast du das gefunden, Junge?«
    »Nirgends«, sagte Opalia von der Tür aus. »Das hatte er um den Hals, als wir
ihn
gefunden haben. Es gehört ihm, Chert.«
    »Was ist drin?«
    »Ich weiß nicht. Es kommt uns nicht zu, es zu öffnen, und er wollte es bisher nicht tun.«
    »Aber vielleicht enthält es ja ... was weiß ich, irgendeinen Hinweis auf seine richtigen Eltern. Ein Schmuckstück mit seinem Familiennamen vielleicht.«
Oder ein wertvolles Erbstück, das er für Kost und Logis in Zahlung geben kann,
schoß es Chert durch den Kopf.
    »Es gehört ihm«, wiederholte Opalia leise. Sie kniete sich neben den Jungen und strich ihm übers helle Haar, und plötzlich begriff Chert, daß sie gar nicht erpicht darauf war, den Namen seiner Eltern herauszufinden ...
    »Hm«, setzte er an und sah auf das Säckchen, aber dann fesselte der Stein seine Aufmerksamkeit. Was er zunächst für ein von Regen oder Meerwasser blankpoliertes Stück Sedimentgestein oder vielleicht auch einfach für eine verwitterte Keramikscherbe gehalten hatte, war etwas viel Ausgefalleneres. Es
war
ein Stein, soviel stand wohl fest, aber als er ihn anstarrte, wurde ihm klar, daß es eine Art Stein war, die er noch nie gesehen hatte und nicht einmal in die Familie der Steine und Metalle einordnen konnte. Ein Funderling, der einen Stein nicht einzuordnen vermochte, das war wie ein Bauer, der auf eine Sorte Kühe stieß, die er nicht nur nicht kannte, sondern die obendrein auch noch fliegen konnte.
    »Schau dir das an«, sagte er zu Opalia. »Hast du eine Ahnung, was das ist?«
    »Wolkensplitter?« nannte sie einen seltenen Kristall. »Erdeis?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, das ist keins von beidem. Flint, wo hast du diesen Stein gefunden, Junge?«
    »In dem Garten. Dort, wo ihr gegraben habt.« Der Junge streckte die Hand aus. »Gib ihn mir wieder.«
    Chert sah von dem Jungen auf das mysteriöse, zugenähte Säckchen. Er gab es Flint zurück, behielt aber den wolkigen Kristall. Er und Opalia würden über diese

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