Die große Flut
Seite, aus dessen Purpurflügeln das Licht wie Wasser floß.
»Ja, ich, du süße Kleine. Ich, Eblis von den Nephilim.«
Noch nie hatte ein Nephil ihr Beachtung geschenkt. Sie war zu jung. Dann erinnerte sie sich plötzlich wieder an den seltsamen jungen Riesen in Großvaters Zelt. Nein, sie war kein Kind mehr. Sie hatte sich vor diesem jungen Riesen nicht wie ein Kind gefühlt.
»Uns erwarten große Veränderungen«, sagte Eblis. »Du wirst der Hilfe bedürfen.«
Ihre Augen weiteten sich. »Veränderungen? Welche Veränderungen?«
»Die Menschen leben zu lang. El wird ihre Spanne kürzen. Wie alt ist dein Vater?«
»Wohl an die sechshundert Jahre. In der Hälfte seiner Zeit.« Sie spreizte, wie zur Entschuldigung, die Finger: Zehn. Bis zehn konnte sie verläßlich zählen, nicht weiter.
»Und dein Großvater Lamech?«
»Laß mich überlegen. Er war sehr jung, als er meinen Vater zeugte, noch nicht einmal zweihundert Jahre. Auch er lebt schon seit langer Zeit. Und sein Vater, mein Urgroßvater Methuselach, starb im neunhundertsten und neunundsechzigsten Jahr. Und sein Vater Enoch, der mit El wandelte, lebte dreihundert und fünfundsechzig Jahre, ehe El ihn hinweg nahm ...«
So gebannt war sie von der Großen Aufzählung ihrer Vorväter, daß es sie unvorbereitet traf, als er seine mächtigen Flügel ausbreitete und sie umfing, einhüllte in glitzernden Purpur. Erschrocken schrie sie auf.
Er lachte leise. »Oh, du Kleine, du unschuldige Kleine, wieviel hast du noch zu lernen über die Wege und Bräuche der Männer – und über El, dessen Wege und Bräuche nicht die der Menschen sind. Willst du, daß ich dich darin unterweise?«
Von einem Nephil unterwiesen zu werden, war eine Ehre, die sie nie erwartet hätte. Sie verstand nicht, warum sie noch zögerte. Sie atmete den seltsamen Duft ein, der von seinen Flügeln ausging und sie an den Geruch der Steine erinnerte, an die kalten, dunklen Winde in den spärlichen Wochen des Winters.
Umfangen von den Schwingen des Nephil hörte sie nicht den dumpfen, rhythmischen Trab des gewaltigen Löwen, der sich aus der Wüste näherte. Erst als er vor ihnen stand und brüllte, wandten Eblis und Yalith sich um. Er bäumte sich auf, wie zuvor die Echse, wuchs in den Himmel, ein großer, gelbbrauner Leib mit goldverbrämten Flügeln, die sich zu voller Spannweite ausbreiteten. Die Bernsteinaugen funkelten.
Eblis gab Yalith frei, faltete die Flügel ein. »Was soll diese unziemliche Störung, Aariel?«
»Ich befahl dir, Yalith nicht zu belästigen.«
»Was bedeutet sie dir? Was bedeuten den Seraphim denn schon die Töchter der Menschen?« Eblis lächelte zu Yalith herab, strich ihr mit sanften Fingern durchs Haar. »Sie bedeuten ihnen nichts.«
»Nichts?« fragte Aariel leise.
»Nichts, Seraph. Ein Nephil aber mag zu den Töchtern der Menschen gehen. Ein Nephil weiß um alle Freuden.« Er berührte Yaliths Lippen mit der Fingerspitze. »Ich bin bereit, dich zu unterweisen, Süße. Und was ich dir geben kann, gefällt dir bestimmt. Für heute überantworte ich dich Aariel und seinen klugen Lehren. Aber ich komme wieder.« Er ließ von ihr ab, drehte sich um, schritt durch die Wüste davon, und seine Nephilgestalt verwandelte sich wieder in die der großen Drachenechse. So entglitt er in die Schatten.
Yalith sagte: »Aariel, ich verstehe das nicht. Ich dachte, du seist auf dem Felsen gelegen. Ich war sicher, daß du es warst, und ich rief dich, aber dann kam statt dessen Eblis.«
»Die Nephilim sind Meister der arglistigen Verstellung. Er wollte dich täuschen. Bitte, Kleines, hüte dich vor ihm!«
Das machte sie unsicher. »Er war sehr gut zu mir.«
Aariel faßte sie unter dem Kinn und schaute ihr in die Augen. Ihr Blick war offen, der Blick eines Kindes. »Wer sollte dir auch nicht gut sein?« sagte Aariel leise, und dann: »Wo wolltest du hin?«
»Nach Hause. Ich brachte Großvater Lamech das Nachtlicht. Oh, Aariel, in Großvaters Zelt ist ein fremder junger Riese! Japheth hat ihn gefunden. Er hat einen schrecklichen Sonnenbrand. Und er kommt nicht aus unserer Gegend. Er sagt, er sei kein Riese, aber noch nie sah ich seinesgleichen. Er ist groß wie du und bartlos. Sein Körper ist glatt und geschmeidig wie der eines Seraphs oder Nephils. Und dort, wo seine Haut nicht verbrannt wurde, ist sie hell. Nicht weiß wie die der Nephilim, sondern hell und zart. Wie die eines Säuglings.«
»Du hast ihn, scheint es, sehr aufmerksam betrachtet«, sagte Aariel.
»Noch nie
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