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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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eine Tätigkeit, mit der er jeden Tag gewiss ein, zwei Stunden verbrachte. Im Westen lag die Bremer Innenstadt, im Norden der ausgestorbene Hafen, wo das irgendwie maritime Großprojekt entstehen würde, außerdem – sollte Bremen die Olympischen Spiele 2020 kriegen, wovor der Herrgott Glabrecht bewahren mochte – die neue Regattastrecke sowie die Olympische Mehrzweckhalle fürs Boxen, Turnen, Fechten und so weiter. Aber an diese Olympischen Spiele in Bremen glaubte in Wahrheit niemand, nicht einmal Sedlmayr, der Chef der Olympia-GmbH , wie er neulich beim Saufen in der Schnoorschänke grölend vor Lachen gestanden hatte. Sedlmayr war Bayer, Glabrecht Rheingauer, beide kannten sie also Gegenden, in denen die Musik des Lebens etwas lebhafter spielte als im calvinistischen Bremen.
    Was hatte Madlé denn geschrieben? – Es waren einige tief pessimistische Gedanken, die er sich während eines heißen Tages in Frankfurt gemacht hatte. Die Großstädte, schrieb er, behaupteten, die Menschen einander näher zu bringen. In Wahrheit seien sie »Entfernungsmaschinen« und Bühnen für die obszönen Casting-Shows, in denen die brutalsten Geldmacher unter den Männern und die skrupellosesten Körperschönheiten unter den Frauen gegeneinander antraten.
    Madlé und Glabrecht hatten sich als junge Männer kennen gelernt, als sie zusammen ein Seminar über Wirtschaftsethik an der Universität Mainz besuchten hatten, an der Glabrecht damals zwei Semester lang studierte. Ein brutal ehrlicher Typ war Madlé gewesen, etwas jünger als Glabrecht, der sich von der seltsamen Aura des anderen angezogen fühlte. Madlé nannte sich zu dieser Zeit einen »überzeugten Wahrheitssadisten«, ein Wort, das Glabrecht seither gelegentlich verwendete, wenn er über sich selbst nachdachte, wenn er sich fragte, warum ihn alles dermaßen quälte und verletzte, warum er so grausam dachte und warum er nichts dagegen unternehmen konnte.
    Madlé hatte Glabrecht in die Wälder des Hunsrücks geführt, und abends waren die beiden ein paarmal zusammen auf Frauenjagd gegangen. Das war lange her, fast zwanzig Jahre nämlich. Nachdem Glabrecht die Universität gewechselt und Mainz verlassen hatte, hatte man einander mehr und mehr aus den Augen verloren.
    Vor etwa einem Jahr war Madlés Name in der Referentenliste einer Tagung aufgetaucht, zu der auch Glabrecht eingeladen war: »Natur und Kultur«, auf Kloster Eberbach im Rheingau. Seit einiger Zeit dachte Glabrecht, wenn ihm so etwas widerfuhr, nämlich dass der Name eines Menschen aus der fernen Vergangenheit plötzlich wieder irgendwo geschrieben stand: »Der lebt also noch.«
    Er hatte an der Tagung teilgenommen. Madlé, seit Längerem Geschäftsführer einer in Wiesbaden ansässigen Kulturstiftung, referierte über Ralph Waldo Emersons Essay »Natur«, und er tat das in der brillanten Art, die Glabrecht erwartet hatte. Sie verbrachten den Abend miteinander, tranken zu viel, und selbstverständlich konnten sie nahtlos an ihr altes Einverständnis anknüpfen, so, als seien nicht viele Jahre, sondern nur ein paar Tage vergangen, seitdem sie sich zuletzt gesehen hatten. Madlé wohnte im Rheingau, er lebte allein, dies »nicht aus Überzeugung«, sagte er. Sie schrieben sich recht häufig und formulierten dann und wann den Plan, sich demnächst wiederzusehen.
    Glabrecht wählte die Büronummer von Madlé in Wiesbaden, der sich mit seinem Nachnamen meldete. Sie telefonierten selten miteinander. Madlé zeigte sich am Telefon häufig merkwürdig gehemmt und übermäßig höflich. Glabrecht hatte den Eindruck, als ob da jemand etwas erschrocken und scheu spräche, so, als schämte er sich für seine E-Mails, in denen er wortgewaltig und herrisch zu formulieren pflegte.
    »Und, was glaubst du: Wer war zuerst da auf den Laufstegen der Casting-Shows?«, sagte Glabrecht absichtlich unvermittelt und ohne vorher seinen Namen zu nennen, »die reichen Männer oder die schönen Frauen?«
    Madlé lachte leise. »Ach, der Glabrecht sitzt in seinem Senatorenbüro und langweilt sich! Schön, dass du dich endlich mal meldest. – Die Männer fahren ja übrigens lieber, anstatt zu laufen. Wer zuerst da war? Schwer zu sagen. Die werden wohl gleichzeitig eingetroffen sein, diese beiden Raubtiergruppen, als alles für sie vorbereitet war. Und bei dir? Was geschieht denn so in deinem Raubtierkäfig dort?«
    »Nun, ich war gerade in Oslo, wegen unseres irgendwie kulturellen Projekts im Hafen, du weißt schon. Das geht mir alles

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