Die großen Vier
seine innere Bewegung missdeutend, begann mit sanfter Stimme zu sprechen.
«Sie hat nicht zu leiden brauchen, war halb bewusstlos bis zum letzten Moment – ist von einem Auto überfahren worden –; der Fahrer hat nicht einmal angehalten, unverantwortlich, nicht wahr? Ich hoffe, dass man wenigstens die Nummer notiert hat.»
«Das Schicksal ist gegen uns», sagte Poirot mit leiser Stimme.
«Würden Sie sie gern sehen?»
Die Schwester ging voran, und wir folgten ihr.
Arme Flossie Monro, mit ihrem Rouge und dem gefärbten Haar. Sie lag so friedlich da mit einem Lächeln auf den Lippen.
«Ja», murmelte Poirot, «die Gestirne sind uns nicht hold – aber sind es wirklich die Gestirne?»
Er hob seinen Kopf, als käme ihm eine plötzliche Idee.
«Sind es die Gestirne, Hastings? Andernfalls – wenn sie es nicht sind… Oh, dann schwöre ich dir, mein Freund, hier an der Leiche dieser armen Frau, dass ich keine Gnade kennen werde, wenn die Zeit kommt!»
«Was meinst du damit?» fragte ich.
Aber Poirot hatte sich bereits wieder der Schwester zugewandt und stellte eifrig Nachforschungen an. Eine Liste der Habseligkeiten, die man in der Handtasche der Toten gefunden hatte, wurde schließlich zusammengestellt. Poirot stieß einen unterdrückten Schrei aus, als er sie durchsah.
«Siehst du, Hastings, genau wie ich vermutete!»
«Was hast du entdeckt?»
«Es ist kein Hausschlüssel zu finden, doch sie muss einen solchen bei sich gehabt haben. Ja, nur so kann es gewesen sein, sie ist kaltblütig überfahren worden, und die erste Person, die sich über sie beugte, entnahm ihrer Handtasche den Hausschlüssel. Aber noch können wir zur rechten Zeit kommen, und er mag noch nicht das gefunden haben, wonach er suchte.»
Ein anderes Taxi brachte uns zu der uns von Flossie Monro angegebenen Adresse, einem vernachlässigten Block mit Mietwohnungen in einer ärmlichen Gegend. Es bedurfte einiger Zeit, bevor wir Zutritt zu Miss Monros Wohnung erhielten, jedoch hatten wir wenigstens die Gewissheit, dass sie niemand verlassen konnte, solange wir draußen warteten. Als wir schließlich eintraten, mussten wir erkennen, dass uns bereits jemand zuvorgekommen war. Der Inhalt der Schubladen und Schränke war über den Fußboden verstreut, Schlösser waren erbrochen und Tische und Stühle umgeworfen; der Suchende musste in fieberhafter Eile gehandelt haben. Poirot begann sofort das Durcheinander zu durchsuchen. Mit einem erstaunten Ausruf erhob er sich plötzlich und hielt etwas in der Hand. Es war ein altmodischer Bilderrahmen – und zwar leer. Auf der Rückseite klebte ein runder Zettel – offenbar ein Preiszettel.
«Er hat vier Shilling gekostet», bemerkte ich.
«.Mon Dieu, Hastings, merkst du denn nicht, dass es ein vollkommen neuer Zettel ist! Dieser wurde durch den Mann aufgeklebt, der das Foto entnommen hat, denselben Mann, der uns zuvorgekommen ist und genau wusste, dass wir auf dem Wege hierher waren. Dieser Zettel wurde speziell für uns hinterlassen, von niemand anders als Claude Darrell – alias Nummer vier.»
15
N ach dem tragischen Tode von Miss Flossie Monro begann ich an Poirot eine merkliche Veränderung wahrzunehmen. Während er bis dahin unerschütterliches Selbstvertrauen gezeigt hatte, schien die ständige Spannung langsam Spuren bei ihm zu hinterlassen. Sein Benehmen war ernst und nachdenklich, und seine Nerven schienen dem Zerreißen nahe. Seit einigen Tagen benahm er sich wie eine Katze auf der Lauer. So weit wie irgend möglich vermied er alle Diskussionen über die Großen Vier und schien sogar sein Interesse an den Dingen des Alltags zurückzugewinnen. Trotzdem wusste ich genau, dass er sich insgeheim mit seinem großen Problem befasste. Fremdartig aussehende Leute, vermutlich Slawen, gingen bei ihm ein und aus, und obgleich er keinerlei Erklärung über ihre Anwesenheit abgab, konnte ich doch annehmen, dass er mit Hilfe dieser etwas zweifelhaft aussehenden Fremden einen neuen Angriff vorbereitete. Als er mich einmal gelegentlich bat, eine Banküberweisung in seinem Scheckbuch zu bestätigen, bemerkte ich die Anweisung einer sogar für Poirots verhältnismäßig hohes Einkommen beträchtlichen Summe – an einen Russen mit einem schier unaussprechlichen Namen. Jedoch gab er mir nicht die geringste Erklärung, zu welchem Verwendungszweck diese hohe Summe gedacht war. Wieder und immer wieder betonte er seinen Grundsatz: «Der größte Fehler besteht darin, seinen Gegner zu unterschätzen, denke
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