Höllenscript
Er roch sie. Ihr Duft verteilte sich überall in der Wohnung wie ein unsichtbarer Schleier.
Er hatte das Schlafzimmer betreten und blieb neben dem Bett stehen. Er lächelte. Wissend, grausam. Er wußte, daß der Duft von teuren Parfüms und Deos bald dem harten Geruch von Schweiß und Angst weichen würde.
Das Spiel konnte beginnen!
Streß war für Claudine Otrano längst kein Fremdwort mehr. Seit Jahren verhielt er sich wie ein nicht von ihrer Seite weichen wollender Liebhaber, der sich mal stärker, mal schwächer um sie bemühte, im Durchschnitt aber irgendwo gleich blieb.
Claudine arbeitete als Model. Nicht ganz oben, aber auch nicht ganz unten. Sie hielt sich im guten Mittelfeld und war zum Glück meist ausgebucht – von den großen Katalogen, das war sicheres Geld, doch hin und wieder kamen ein paar Hochglanz-Rosinen hinzu, wenn irgendwelche Modezeitschriften sie über ihre Agentur buchten. Das gab immer etwas mehr in die Kasse.
Seit vier Wochen war Claudine damit beschäftigt, die neue Winterkleidung zu präsentieren, die dann die Interessenten in einem dicken Katalog finden würden, der in Deutschland herausgebracht wurde.
Claudine war erst sechsundzwanzig; für ein Model war sie dafür aber schon recht alt, deshalb geriet sie doch hin und wieder ins Grübeln, was ihre Zukunft anging, denn sie wußte nicht zu sagen, wie lange sie in diesem Job noch gefragt war. Da konnte von einem auf den anderen Tag Schluß sein. Plötzlich war sie zu alt, wurde nicht mehr gebucht – aus der Traum. Dabei hatte sie nichts anderes gelernt. Praktisch von der Schulbank weg war sie in das Geschäft eingestiegen und hatte sich durchgeboxt.
An diesem Nachmittag wirkte sie erschöpft, als sie in der Agentur hockte, verdünnten Zitronensaft trank und ins Leere starrte. Die Hektik spielte sich nebenan ab. Das Zimmer, in dem Claudine saß, war der Aufenthaltsraum, eine Oase der Ruhe.
Vor einigen Stunden war sie in Hamburg gestartet. Der Besuch in der Agentur war eigentlich nicht geplant gewesen, aber sie hatte ihn einfach gebraucht, um die Leere in ihrem Innern zu überwinden. Der letzte Job war erledigt, vor ihr lag der Sommer, und eine neue Arbeit war noch nicht in Sicht, deshalb hatte Claudine einen leichten Durchhänger. Sie hoffte auf neue Angebote.
Claudine Otrano hing mehr auf ihrem Stuhl, als daß sie saß. Sie fühlte sich kaputt. Allein der Gedanke daran, das Gepäck schleppen zu müssen, das sie unten im Flur abgestellt hatte, ärgerte sie. Am liebsten hätte sie sich weit weg gewünscht. Irgendwo an einen Strand in der Karibik, wo man relaxen konnte.
Zur hellen Jeans trug sie ein grünes Top. Darüber eine schwarze, knapp sitzende Jacke. Das Haar, es war hellblond, kurz geschnitten, sah zerzaust aus. Zu oft war sie in ihrer Nervosität mit den Fingern durch die Strähnen gefahren.
Die ›Limonade‹ schmeckte ihr nicht. Claudine hatte Hunger, doch bei der Ernährung mußte sie streng auf die Kalorien achten, sonst konnte sie den Job gleich an den Nagel hängen.
Als Claudine den Kopf drehte, schaute sie in einen Spiegel. Er hing an der Wand. Viele hatten schon vor ihm gestanden, und viele würden immer wieder vor ihm stehen. Er war so grausam und unbestechlich.
Eigentlich konnte sie sich über ihr Aussehen nicht beschweren. Sie war noch Top, aber das nette, so jung wirkende Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden. Es war einer gewissen Erschöpfung gewichen.
Ränder unter den Augen. Eine Haut, die durch das viele Schminken gelitten hatte, das alles mußte sie ertragen.
Ihr Mund war verzogen. Claudine brauchte Ruhe. Viel Schlaf. Das alles würde sie sich holen, sobald sie abschätzen konnte, welche Jobs noch zu erwarten waren.
Dabei konnte ihr Isolde helfen. Die stellvertretende Chefin, eine Agenturtante, wie sie sich selbst bezeichnete. Immer quirlig, immer in Action, die Frau mit dem offenen Ohr, auch wenn sie mal telefonierte.
Dann hörte sie eben mit dem anderen zu.
Isolde klopfte nicht erst an. Sie stürmte in den Raum wie der berühmte Wirbelwind. »Hi, Süße, wieder da!«
Die übliche Begrüßung folgte. Küßchen rechts, Küßchen links, dann warf sich Isolde auf einen der Stühle mit der hellen Lederbespannung. »Heiß hier, nicht?«
»Kann man sagen.«
Isolde schaute Claudine aus ihren grünen Augen forschend an. Dabei hatte sie sich halb über den Tisch gelehnt. »Wie ist es gelaufen, Kindchen?«
Kindchen! Das sagte sie immer, dachte Claudine, und sie haßte diesen Ausdruck. Aber Isolde
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