Die Gruseltour von Schreckenstein
der Hellseherin. Er blieb, um in Ruhe für die Schulzeitung zu schreiben, so lang ihm der Vortragsabend noch gegenwärtig war. Man nennt das journalistische Sorgfaltspflicht, meinte er.
Das Wetter zeigte sich fotofreundlich. Auf dem Rasen an der Seeseite des Schlosses kam es zu den üblichen Frotzeleien.
„Na, was liegt denn heut in der Luft?“ fragte Esther ausgerechnet Dampfwalze.
„Bis jetzt nur deine blöde Frage“, antwortete der.
„Du vergißt deine Humorlosigkeit“, fuhr Beatrix dazwischen.
Wortlos wandte sich der Muskelprotz ab. Es schien, als habe er seit dem Vortrag der Hellseherin das Lachen verlernt.
Zusammen mit Fräulein Böcklmeler und Sonja Waldmann von Rosenfels und dem Schreckensteiner Kunsterzieher Gießkanne nahte die Leiterin.
„Die Jury!“ sagte Sophie. jetzt geht’s los.“
Fräulein Doktor Horn betätigte ausnahmsweise ihre Lachmuskeln. „Guten Tag! Ich muß sagen, ich bin hocherfreut über das große Interesse an unserer Veranstaltung. Laßt uns abzählen, wie viele wir sind.“
Dabei stellte sich heraus, daß nur ein Dutzend am Wettbewerb teilnehmen wollten.
„Und was seid ihr?“ fragte die Leiterin die Mehrheit der Schreckensteiner.
Hans-Jürgen, als Dichter immer um das treffendste Wort bemüht, zögerte. „Ich überlege grade, wie man Schlachtenbummler beim Fotowettbewerb nennt...“
„Unterbelichtete!“ rief Ingrid dazwischen und sorgte für Unruhe. Doch nachdem auch bei den Mädchen die absolute Mehrheit dazugehörte, waren die Ritter mit der Bezeichnung einverstanden. Bettina verteilte Blätter, auf denen die zu fotografierenden Motive aufgeführt waren, und die Leiterin verlas sie laut.
„Erstens: Blume in Vase oder im Garten.
Zweitens: Porträt von vorn oder Profil, Person nach freier Wahl.
Drittens: Figur stehend oder sitzend in beliebiger Pose.
Viertens: Architektur. Treppe, Fenster, Fassade, dekoratives Detail am Schloß.
Fünftens Bewegung. Mensch im Lauf, Sprung, bei Tätigkeit oder Gebärde.
Sechstens: Tierstudie.
Siebtens: Stimmung. Ausschnitt aus der Natur, Stillleben, Teller mit Früchten, Brot und Speck auf einem Holzbrett — ihr könnt dazu in die Küche gehen.
Bei allen Motiven kommt es hauptsächlich auf drei Dinge an: Komposition — wie das Motiv im Bild steht Auffassung und Beleuchtung. Von jedem Motiv darf nur eine Aufnahme gemacht werden. jeder hat sieben Bilder. Filme gibt’s bei der Jury. Kameras sind genug vorhanden. Die Reihenfolge der Aufnahmen bleibt jedem überlassen. Ihr habt eine Stunde Zeit. Ein Gongschlag bedeutet: Abgabe bei der Jury in meinem Zimmer. Und bitte: Bei jedem Bild Nummer und Namen nicht vergessen. Das ist das wichtigste! Sodann, es kann beginnen!“
Vom Schloß kamen der Rex und Mauersäge. Die Leiterin ging ihnen entgegen. Andi nahm Strehlau die Sofortbildkamera aus der Hand und schoß hinterher.
„He he!“ maulte der Musterschüler.
„Nummer fünf!“ Grinsend nahm Andi das Bild aus der Kamera und steckte es ein. „Unwahrscheinliche Bewegungsstudie!“ Die Teilnehmer schwärmten aus, in kleinen Gruppen mit Kometenschweifen von Unterbelichteten hinter sich. Der Jury folgte nur ein winziges Schweifchen: Gießkanne suchte wieder einmal Sonjas Nähe. Doch sie hatte keine Zeit und ließ ihn bei den Unterbelichteten zurück. Die Teilnehmer entwickelten zusehends Eile und Heimlichgetue.
„Ich weiß, wo ein Kätzchen ist!“ flüsterte Sophie und zog Ottokar mit sich fort.
Beatrix und Stephan entwischten zu gegenseitigen Porträts ins Schloß. Dampfwalze folgte Ingrid und Esther in den Garten. Als Klaus sich ihnen anschloß, maulte der Schulkapitän: „Was willst du denn da? Kannst du nicht woanders hin?“
Klaus blieb lässig. „Ich brauch deine Birne zur Beleuchtung.“
Nicht nur hier gab es rüde Töne.
„Schleicht euch, ihr seid im Bild!“
„Ihr macht Schatten. Haut ab!“
„Ruhe. Ich komponiere!“ und andere Zurechtweisungen mußten sich die Unterbelichteten gefallen lassen. Da die Teilnehmer ihre Fotos vor ihnen verbargen, wurde das Mitlaufen langweilig. So kam es alsbald auf der großen Wiese zu zwei Volleyballspielen mit viel zu großen Mannschaften und obendrein überkreuz — ein lautstarker Spaß, von der Jury belächelt, die, um Rex und Mauersäge verstärkt, in Fräulein Doktor Horns Zimmer Kaffee trank.
jetzt hatten die Fotofreunde ihre Ruhe. Die brauchten sie auch. Sechzig Minuten sind für sieben Motive nicht viel, zumal wenn man sie erst suchen muß. Doch die
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