Die Gruseltour von Schreckenstein
Melodie führt, bis ihn Flöte, Gitarre oder Akkordeon mit Soloeinlagen ablösen. Dann wieder machen alle rhythmisch-harmonischen Hintergrund, und Strehlau läßt die Finger laufen, daß die Tasten staunen, Rolle zupft und streicht, dreht die Baßgeige wie eine Tanzpartnerin oder läuft drum herum, bis Ottokar mit Klöppeln, Besen und Stöcken auf Häuten und Becken ein Feuerwerk entfacht, als habe er zweifelsfrei sechs Arme. Stillsitzen kann da niemand.
„Ich hab keine Lust mehr.“ Mitten im stampfenden Rhythmus der Band bleibt Beatrix stehen. „Essen wir was“, schlägt Klaus vor. Doch dazu hat sie auch keine Lust und er noch weniger. Dabei ist das Rosenfelser Buffet von gewohnter Qualität. Auch das berühmte Marzipan fehlt nicht. Doch niemand drängt sich um die Köstlichkeiten. Die Säfte-Bar von Constanze und Isabell findet überhaupt keinen Zuspruch. Mit einer Decke um die Schultern lehnt Doris an der Wand und starrt vor sich hin.
Ähnlich geht es den Erwachsenen nebenan in der Bibliothek. Starr wie Schachfiguren sitzen sie um das Kammfeuer.
„Ihr bewegt euch wie vollgefressene Flußpferde!“ rügen die vier Minis die Tanzbemühungen von Dieter, Mücke, Emil, Renate, Eva und Irene.
„Atmet mal kräftig aus, damit’s wärmer wird“, empfiehlt Dolf und macht Freiübungen, als sei er auf dem Sportplatz.
Pummel und Eugen sitzen beinebaumelnd mit verschränkten Armen auf dem verstimmteren der beiden Flügel, ihre Strickmützen tief in die Stirn gezogen.
„Wozu das Gehopse?“ Martina und Beni hören auf.
„Idiotisch!“ brummt Bettina und latscht mit Werner und Fritz weg. „Irgendwie ist mir schwindelig.“
„Jawohl, Stimmung!“ Die Rülpshexe steht unterm Türstock und klatscht in die Hände. „Bitte noch viel, viel lauter!“
Armin macht mit dem Finger die bekannte Schraubbewegung an der Schläfe mit dem dazugehörigen Pfiff durch die Zähne.
Esther hebt eine Kerze auf, die aus einem Wandleuchter gefallen ist. Die elektrische Leitung hat von Anfang an die Beleuchtung des Saals verweigert. Die Kerzen in den paar Wandleuchtern auf der einen Seite zaubern gespenstische Riesenschatten der Tanzenden auf die andere.
„Jetzt bleib endlich zu!“ Schon ein dutzendmal hat Ralph den Fensterflügel geschlossen und immer
wieder schwenkt er herein, kalten Wind im Gefolge.
Sonja singt mit der Band — gewöhnlich ein lebhaft beklatschter Höhepunkt — , heute kommt nichts
dergleichen. Allein Schießbude starrt sie an, die Hände in den Taschen vergraben.
Seit einer Stunde plagt sich die Horror Rock Band um Fröhlichkeit. Aber weder Tempo noch Lautstärke haben bisher zum Erfolg geführt.
„Schluß jetzt!“ Ingrid steht auf einem der Hügel, die die Feuchtigkeit im Parkett aufgeworfen hat, und herrscht Dampfwalze an, der noch tanzt. „Deine dauernde Motzerei paßt mir nicht. Wenn du was für die Stimmung tun willst, dann setz dich in den Hungerturm. ja los, Abmarsch!“
Das ist selbst dem Muskelprotz zuviel. Wortlos dreht er sich um und geht an den staunenden Minis vorbei hinüber In den grünen Saal.
„Idiotenritter!“ mault Ingrid ihm nach.
Mit einem Beckenschlag von Ottokar endet das Stück.
„Meine Stimme! Ich muß was Warmes trinken!“ sagt Sonja und geht in die Bibliothek, wo Jean Glühwein serviert hat.
Die wenigen Tänzer bewegen sich auch ohne Rhythmus weiter.
Hans-Jürgen schüttelt den Kopf. „Ein Fest wie Kunsthonig!“ Stephan schaut auf seine Uhr. „Und erst halb zehn.“
„Was ganz Schnelles!“ rufen Wolf und Rolf herüber.
„Genau richtig“, meint Rolle. „je wilder, desto wärmer.
Sie einigen sich auf ein Stück, das sie an diesem Abend schon einmal gespielt haben. Andi
schmettert los, Ottokar trommelt wie ein Preßluftbohrer, Wolf und Rolf tanzen aber nicht, sondern
drehen Runden im Laufschritt.
Pummel und Eugen haben den verstimmten Flügel verlassen und sich in den grünen Saal verzogen.
In ihre Schlafsäcke gekuschelt spielen sie bei Kerzenlicht eine Partie mit dem taschenbuchgroßen Steckschach. Auch Dampfwalze hat sich in seinen Schlafsack verkrochen und zur Seite gedreht. Da kommt, mit Schlafsack, Luftmatratze und einem Buch, Ingrid aus dem roten Saal herüber. „Ich komm zu euch“, sagt sie. „Drüben find ich nicht mal eine Kerze.“ Quer legt sie sich vor die beiden Schachspieler und schlägt das Buch auf.
Nach Sekunden schält sich Dampfwalze geräuschvoll aus seiner Wärmetüte, legt sie sich um die Schulter und verschwindet in den
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