Die Günstlinge der Unterwelt - 5
Immer.«
An einem Fenster mit einem schweren, blauen Vorhang blieb er stehen. Er zog sein Uniformmesser und schnitt an der Seite ein großes Stück ab, darunter auch einen Streifen der Bordüre mit goldenen Quasten. Lunetta fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, wiegte sich hin und her, verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen und wartete.
Brogan lächelte. »Etwas Hübsches für dich, Lunetta.«
Sie riß es mit glänzenden Augen aufgeregt an sich, hielt es mal hier-, mal dorthin und suchte nach der Stelle, wo sie es am besten zu den anderen stecken konnte. Vor Wonne jauchzte sie. »Danke, Lord General. Es ist wunderschön.«
Er marschierte davon, und Lunetta mußte sich sputen, um mit ihm Schritt zu halten. Porträts von Angehörigen des Königshauses hingen vor der kostbaren Täfelung, und unter den Füßen erstreckten sich bis in die Ferne kostbare Teppiche. Mit Blattgold verzierte Türrahmen faßten zu beiden Seiten oben abgerundete Türen ein. Das Karminrot seines Umhangs blitzte in Spiegeln mit goldenen Rahmen auf.
Ein Diener in braunweißer Livree betrat unter Verbeugungen den Gang und deutete mit ausgestrecktem Arm in die Richtung des Speisesaales, bevor er sich hastig zurückzog, sich alle paar Schritte verbeugend und mit Seitenblicken vergewissernd, daß er allem Unheil aus dem Wege ging.
Tobias Brogan war kein Mann, der einem mit seiner Größe Furcht einflößte, doch die Diener, die Bediensteten, die Palastwache und halb angezogenen Beamten, die in die Halle stürmten, um zu sehen, was all die Aufregung verursacht hatte, erbleichten, als sie ihn erblickten – den Lord General höchstpersönlich, den Mann, der den Lebensborn aus dem Schoß der Kirche befehligte.
Auf sein Wort hin wurden Verderbte für ihre Sünden verbrannt, ob es Bettler waren oder Soldaten, Lords oder Ladies – oder sogar Könige.
5. Kapitel
Schwester Verna stand wie erstarrt vor den Flammen, aus deren Tiefe sich flüchtige Wirbel glitzernder Farben und schimmernder Strahlen voller schwankender Bewegungen lösten, Fingern gleich, die sich im Tanz verdrehten, die Luft ansogen, die im Vorüberziehen an ihren Kleidern riß, und die eine Hitze abstrahlten, die sie alle zurückgetrieben hätte, wären ihre Schilde nicht gewesen. Die riesige, blutrote Sonne stand halb aufgegangen über dem Horizont und nahm den Flammen, die die Leichen aufgezehrt hatten, endlich ein wenig von ihrem grellen Schein. Einige der Schwestern in ihrer Nähe schluchzten leise.
Wohl über einhundert Jungen und junge Männer standen um das Feuer, und doppelt so viele Schwestern des Lichts und Novizinnen standen dort, umringt von ihrem Kreis. Bis auf eine Schwester und einen jungen Mann, die symbolisch den Palast bewachten und natürlich jene Schwester, die verrückt geworden war und die man zu ihrem eigenen Besten in eine leere, abgeschirmte Zelle gesperrt hatte, standen sie alle auf dem Hügel oberhalb von Tanimura und sahen zu, wie die Flammen gen Himmel schlugen. Und trotz der Gegenwart so vieler Menschen wurde jeder einzelne von einer unergründlichen Einsamkeit ergriffen und stand zurückgezogen da, in sich gekehrt und ins Gebet vertieft. Wie vorgeschrieben, sprach während des Begräbnisrituals niemand ein Wort.
Schwester Verna schmerzte der Rücken, denn sie hatte die ganze Nacht über Totenwache gehalten. Sie alle hatten die Stunden der Dunkelheit hindurch dort gestanden und gebetet, hatten den gemeinsamen Schild über den Toten als symbolischen Schutz für die Verehrten aufrechterhalten. Wenigstens waren sie für eine Zeit von dem unaufhörlichen Getrommel unten in der Stadt fortgekommen.
Beim ersten Licht hatte man den Schild fallen lassen, und jede Schwester hatte einen Strom ihres Han in den Scheiterhaufen geschickt und ihn damit entzündet. Feuer, gespeist von Magie, war durch die aufgeschichteten Scheite emporgeschossen und durch die beiden fest umhüllten Körper – der eine klein und gedrungen, der andere hochgewachsen und kräftig gebaut – und hatte ein Inferno göttlicher Macht entfaltet.
Sie hatten in den Gewölben nach Unterweisung suchen müssen, denn kein Lebender hatte je an dieser Zeremonie teilgenommen. Seit fast achthundert Jahren war sie nicht mehr durchgeführt worden – seit siebenhunderteinundneunzig, um genau zu sein – als zum letzten Mal eine Prälatin gestorben war.
Wie sie aus den alten Büchern erfahren hatten, stand es allein der Prälatin zu, daß man ihre Seele in einem geheiligten
Weitere Kostenlose Bücher