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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Charly, dick und mächtig wie damals, die Halbbrille ganz vorne auf der Nase, die grauen, dünnen Haarfransen wirr um den Kopf, wache, schwarze Vogelaugen, Strickweste, Jeans und Pantoffeln … Da war auch der Geruch, an den sie sich erinnerte: der Geruch nach Druckerschwärze und eingetrockneter Farbe.
    »Na, sieh mal, wer da kommt! Welcher Glanz in meiner Hütte! Da bitte ich doch einzutreten, gnädige Frau …«
    Er machte eine gravitätische Handbewegung.
    Sie setzte sich an den kleinen Korbtisch am Eingang. Ein Schachbrett lag darauf. Charly spielte seine Partien meist gegen sich selbst.
    Sie sah sich um, und alles schien ihr mit einemmal auf eine geradezu magische Weise wieder vertraut. Wie oft hatte sie hier gesessen … Und als sie nun ihn betrachtete, waren alle Zweifel verflogen. Sie wußte plötzlich: Er wird dir helfen … Und warum auch nicht?
    Vor vier Jahren war es Isabella gelungen, Charly von den tiefen Depressionen zu befreien, in die er nach dem Tod seiner Frau gefallen war. Er hatte sie über alles geliebt, doch es war nicht allein dieser Verlust, fast gleichzeitig hatte Charly auch seine Arbeit verloren, und so diente ihm das bißchen Energie, das ihm noch verblieben war, allein dazu, immer neue Rotweinflaschen in seine Bude zu schleppen und dort im Suff und undurchbrechbarem Schweigen zu versacken.
    Ja, sie hatte ihn gemocht und viel versucht, bis es ihr schließlich gelang, ihn doch wieder aus seiner Lethargie zu reißen und auf die Beine zu bringen. Denn er war ein Meister seines Fachs. Man brauchte nur die Wände zu betrachten: Chagall, Klee, Fuchs, Ackermann, Baumeister … Charly war gerade sechzig geworden, als ihn die Firma auf die Straße setzte; die neuen Digitalisierungstechniken hatten ihn wegrationalisiert. Aber an den Wänden hingen sie noch immer, die Lithos, die er für die ganz Großen angefertigt hatte, und viele trugen ihre handschriftliche Widmung.
    Nun, Charly hatte weitergemacht. Sein Können war immer noch gefragt, nicht mehr von Künstlern, jetzt von der Unterwelt. Charly besorgte Pässe und Papiere für den Frauenimport russischer und tschechischer Zuhälterringe, und wenn es um den Export geklauter Autos nach dem Osten ging, konnte er auch da helfen …
    »Du?« fragte er und starrte sie ungläubig an, nachdem sie ihm erklärt hatte, um was es ging. »Du schiebst solche Dinger an? Ist ja wohl nicht zu fassen …«
    »Dem Mann ist zu helfen, Charly, glaub mir. Aber wenn er hier einsitzt und nicht therapiert wird, bleibt er brandgefährlich. Er muß woanders hin. Ins Ausland …«
    Charly seufzte, schloß die Augen, zuckte mit den Schultern und lächelte sie an: »Du kannst mir kommen, mit was du willst, du kriegst alles von mir, und das weißt du – was, Isabellchen?«
    »Ich hoffe es.«
    Er schwieg, schüttelte den Kopf und fragte schließlich: »Und wann?«
    »Na ja, möglichst bald natürlich. Sagen wir mal, das Limit ist vierzehn Tage.«
    Er strich sich über seine Fransen: »Weißt du wirklich, was du da tust? – Na ja, jeder hat das Recht, auf seine Weise verrückt zu werden. Das muß so sein … Also, laß uns überlegen: der Führerschein – kein Problem, überhaupt keines, Peanuts … Und ein Paß? Mit einem dieser neuen Europaß-Dinger wird's etwas teurer und dauert länger … Warum nehmen wir nicht einen alten Paß und donnern ihm 'ne schöne Verlängerung rein? Das geht momentan noch. Wäre dir damit geholfen?«
    Sie nickte. Und dann fiel sie Charly Hohenberg um den Hals.
    Als sie den Hinterhof verließ und über die Straße zu ihrem Wagen ging, lief ihr ein Rudel Schuljungen entgegen. Sie trieben einen Ball vor sich her. Isa machte ihnen Platz. Sie fühlte sich irgendwie leicht, so als habe ihr Körper an Gewicht verloren, ja, leicht und frei … Lieber Himmel, sie hatte einen Ladowsky nach Österreich gebracht und jetzt sogar falsche Papiere besorgt – sie hatte Dinge getan, die ihr früher nicht einmal in ihren Alpträumen eingefallen wären. Und nun? – Nun war sie richtig guter Laune.
    * * *
    Jeden Abend nach der Arbeit ging Isabella sofort nach Hause, schaltete den Fernseher an und stellte das Telefon neben sich, doch eigentlich hatte sie erwartet, daß er Dienstag oder Mittwoch anrufen würde; dann, Donnerstag, war es soweit. Sie nahm ab – und da hörte sie: »Isa?«
    »Warum hast du dich nicht früher gemeldet?«
    »Hier gibt's ja kein Telefon, und im Kofler-Hof waren immer Leute in der Nähe.«
    Es war gut, daß er so vorsichtig war, sehr gut

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