Die Gutachterin
fühlte sich zu Tode erschöpft, ihr überreiztes, vom fehlenden Schlaf gequältes Gehirn begann zu rebellieren. Matt warf sie sich in einen Sessel, schloß die Augen und versuchte sich zu entspannen. Dazu diese Diana Schöler mit ihrer Klaustrophobie? – Ausgeschlossen!
Sie rief Nicole an, eine junge Psychologin, die sich auf Desensibilisierungstraining spezialisiert hatte und die sich der Menschen annahm, die wie Diana Schöler ihren Beruf nicht mehr ausüben konnten, weil sie in Aufzügen, Straßenbahnen oder irgendwelchen Menschenansammlungen Panikanfälle bekamen …
Doch auch Nicole Hedrich kam sofort mit einem »Ja-hast-du's-auch-schon-gehört?« Und: »Ist das nicht unglaublich? Was machst du jetzt?«
»Das weiß ich noch nicht«, erwiderte Isabella und versuchte ihr so ruhig und sachlich wie möglich den Fall der jungen Hotelkauffrau in ihrem Wartezimmer auseinanderzusetzen.
»Gut, schick sie zu mir.«
Das wenigstens war erledigt …
Sie gab sich einen Ruck und wählte die Nummer von Mettenau. Es dauerte, bis sie mit Markus Bennartz verbunden wurde.
»Ja, hier ist Isa. Ich hab' das gerade erfahren und wollte nur wissen …« Sie gab sich alle Mühe, ihre Stimme so sachlich wie möglich klingen zu lassen. »Habt ihr ihn?«
»Nein, wir haben ihn nicht, verdammt noch mal«, antwortete Bennartz. »Ich wollte dich sowieso anrufen. Hat er bei deinen Gesprächen irgendwelche Anhaltspunkte gegeben, wo er sein könnte?«
»Kein Wort.«
»Hat die Polizei schon angerufen?«
»Ja, aber ich war nicht da.«
»Aber er muß doch irgendwas gesagt haben? Versuch dich zu erinnern … Irgendeinen Namen, einen Ort … Vielleicht hat er irgendeinen Kumpel draußen, den er erwähnte?«
»Nein, leider, Markus … Du weißt doch, wieviel Schwierigkeiten ich mit ihm hatte«, log sie tapfer weiter. »Und nach der ganzen Schweinerei bei euch da draußen hat er sich sowieso völlig ausgeklinkt. Da war nichts mehr aus ihm herauszuholen … Ich hätte ihn schon hingekriegt …«
»Auch noch!«
»Was auch noch?«
»Na, daß du uns die Verantwortung in die Schuhe schieben willst.«
»Das tu' ich nicht.«
»Hör zu, ich hab' das Büro voller Leute. Und Gott soll verhüten, daß sie mir diesen Typ nochmals aufs Auge drücken … Aber jedenfalls, falls dir doch noch etwas einfallen sollte, ruf mich an – nein, besser noch die Polizei …«
Es klickte. Er hatte aufgelegt.
Uli stand mit der Liste der Anrufe des Vormittags in der Tür.
Isabella hatte Mühe, zuzuhören, der Rücken, ihr ganzer Körper schmerzte, und vor Müdigkeit brannten ihr die Augen. Was Uli sagte, bekam sie kaum mit. – Aber dann fuhr sie doch auf: »Saynfeldt, sagst du?«
»Ja. Der auch. Und er machte es schrecklich dringend.«
Sie nickte: »Sag ihm in Zukunft, ich sei für ihn nicht zu sprechen.«
»Im Ernst?«
»Ja, was sonst?« Sie stand auf. Ihre Beine trugen sie kaum mehr, doch sie versuchte zu lächeln.
»Ich hab' noch etwas Dringendes zu erledigen, Uli. Ich fahr' jetzt in meine Wohnung. Den anderen Patienten haben wir abgesagt, nicht wahr?«
Die Sekretärin nickte.
»Na schön – bis dann …« Sie packte das Ladowsky-Material, das sie dem Schreibtisch entnommen hatte, in ihren Aktenkoffer, fuhr nach Hause, stand ein paar Sekunden am Fenster und sah hinunter auf die Straße. Der nette Kommissar Berling fiel ihr dabei ein, und die Streifenwagen, die noch vor wenigen Wochen dort unten vorübergezogen waren … Sicher war es Berling gewesen, der im Büro angerufen hatte. – Sie zog die Vorhänge zu, legte den Aktenkoffer auf den Schreibtisch und öffnete ihn.
Unter den Papieren fand sie einen Streifen mit vier Paßfotos. Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen waren sie ihr von der Kanzlei Reuter mit den übrigen Ladowsky-Unterlagen übergeben worden: ein Ludwig mit starrem Blick, umschatteten Backenknochen – er sah wirklich wie ein Mörder aus, und das war er ja auch …
Sie betrachtete die Fotos und legte sie zurück. Es gab noch ein Bild … Wo nur? Sie stöberte zwischen Klemmheftern und Prozeßdokumenten. – Hier … Eine der Aufnahmen, die der Kurier kurz nach der Verhaftung gebracht hatte: Er stand an irgendeine Mauer gelehnt und lächelte halb fragend in die Kamera. Da waren die Augen mit den langen Wimpern, die Stirn, der Mund, da war Ludwig, wie sie ihn kannte.
Sie strich das Papier glatt. Dann ging sie hinüber ins Schlafzimmer und legte das Bild auf den Nachttisch. Trotz des groben Zeitungsrasters, seine Augen schienen
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