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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sie nun mal nicht ging? Das zum Beispiel hätte er sagen können. Er verspürte keine Lust dazu.
    »Verdammt noch mal, ich hab' Kohldampf. Jetzt gibt mir schon mein Brot.«
    Berling tat es und sah den Kaubewegungen von Konnarz' Hamstertaschen zu, während der den Wagen geschickt und flüssig durch die engen Kurven steuerte. Dazu brachte er es bei der ganzen Kauerei noch fertig, verständliche Sätze abzusondern: »Meinst du, er spielt dort oben den spastischen Bubi?«
    »Ich meine gar nichts.«
    »Der hockt irgendwo im Wald, Tommi, der hockt in seinem Loch und wartet, bis die Hubschrauber und die Polizeiköter zurückkommen, und in der Zwischenzeit macht er sich in die Hosen vor Angst.«
    »Was immer er macht, er braucht was zu essen. Müßte gerade dir klar sein, Erich!«
    Konnarz streckte ihm prompt die Hälfte des Brötchens hin.
    Berling schüttelte den Kopf.
    »Auf die Höfe kann er ja nicht, Dicker. Die holen doch sofort den Knüppel. Sein Gesicht kennt jeder. Das weiß er … Und noch viel mehr gilt das für Wächtersbach und all die anderen Kaffs drumrum. Er kann nirgends hin.«
    »Außer nach Roßberg natürlich.« Konnarz rieb sich mit dem Handrücken über den Mund.
    »Vielleicht. Vom Tatort sind das zwei, drei Stunden zu Fuß. Vielleicht kennt er die Gegend. Bauern gibt's hier wenig. Aber in einem Laden wie Roßberg, ob jetzt Schickimicki-Sanatorium oder Landesanstalt, gibt's zu essen. Jede Menge …«
    »Und du meinst natürlich, Spastiker, die schreien nicht um Hilfe? Die können gar nicht. Und fernsehen tun sie auch nicht …«
    »Ich meine gar nichts«, wiederholte Berling müde.
    Ja, mit den Theorien war's immer das gleiche: Zunächst ein Impuls, wie ein kleiner Stromstoß – aber der floß nicht lange, und dann wurde die Sache flau …
    * * *
    Am Sonntag hatte sie Evi nicht einmal auf den Friedhof bringen dürfen, nein, Evi lag in diesem schrecklichen Keller in einer Schublade aus Stahl, wie irgendein Gegenstand, den man einfach wegpackt, weil er kaputt ist. Sie würde ihre Tochter erst Ende der Woche zurückbekommen.
    Zurück zu was?
    Eichensarg, Erde, Blumen – der Pfarrer, Deckel zu, Erde drauf, das war alles, was von sechzehn Jahren blieb. Evi hatte doch noch gar nicht gelebt …
    Irma Fellgrub saß im Sessel am Fenster. Sie hatte die Jalousien herabgelassen, um nichts von der Welt dort draußen zu sehen, vor allem aber, um keine Menschen sehen zu müssen.
    Der Mann im Leichenkeller war freundlich gewesen, der hatte ein Herz, er hatte ihr es auch erspart, noch einmal ihre Tochter betrachten zu müssen. Er hatte sie gebeten, die Narbe am rechten Knie zu identifizieren, die Evi sich damals nach der Konfirmation beim Sturz von ihrem neuen Fahrrad geholt hatte. Den Keller hatte Irma gerade noch geschafft, doch weinen konnte sie längst nicht mehr, was brachte das schon, das ewige Weinen. Ihr Bruder hatte sie nach Hause nach Lengbrunn zurückgefahren, und Liese, die Schwägerin, hatte sie geküßt und in den Arm genommen und ihr gesagt, sie solle doch bei ihnen bleiben. »Was willst du um Himmels willen in dem Haus, Irma, so ganz allein? Nun komm doch, sei vernünftig …«
    Aber sie war nicht vernünftig.
    Sie hatte Cola gekauft für die Mädchen, die aus der Schule zu ihr kamen, und für die anderen vom Aerobic-Club in Orb. Und dann war das halbe Dorf gekommen und all ihre Freunde und Freundinnen. Und sie hatten Blumen gebracht, jeder einen Strauß, so viele Blumen, die mußte sie doch ins Wasser stellen. Sie hatte sie alle verteilt, im Wohnzimmer, in Evis Zimmer, im Korridor, sie wußte gar nicht mehr wohin damit, und nun sah die ganze Wohnung aus wie eine Gärtnerei oder eine Blumenhandlung oder ein Blumenmeer. Schön sah es aus. Evi hatte Blumen so gemocht. Aber was nützten sie ihr jetzt?
    »Frau Fellgrub, ich weiß, wie schmerzlich das alles für Sie sein muß. Kann ich Ihnen helfen?«
    Das war Mittag gewesen. Eine Frau hatte da plötzlich in der Tür gestanden, auch sie mit einem Strauß, einem großen Bukett aus Rosen und Iris. »Und vor allem, wo Sie doch so allein sind … Ist denn niemand bei Ihnen?«
    Sie hatte sie nur angeschaut.
    »Ihr Mann kann Ihnen in diesem Schmerz wohl nicht mehr zur Seite stehen – Er ist ja tot, Frau Fellgrub, wie ich erfahren habe.«
    »Was geht Sie das an? Was wollen Sie?«
    »Helfen«, hatte die Frau gesagt. »Nur helfen. Sehen Sie, wir dachten uns …«
    »Wer – wir?«
    »Die Redaktion. Ich … Wir nehmen alle teil an Ihrem Schmerz, Frau Fellgrub. Aber

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