Die Gutachterin
raschelst? Außerdem, Dr. Martin meint auch, daß ich meine Migräne nie los werde, solange ich mich nicht an eine geregelte Schlafzeit halten kann …«) –, damals vor drei Jahren also, nachdem er auf diese einfache Weise von der Nähe ihres Atems, der Nähe ihres mageren Körpers mit all den antrainierten Sehnen und Muskeln befreit worden war, hatte sie sich mit Inbrunst auf die Neudekoration des Hauses gestürzt. Aus dem Schlafzimmer wurde eine Art bläulich und silbern schimmernder Art-déco-Schneewittchen-Sarg mit Chromtischchen und einer Designerschrankwand, die ihn mit all ihren facettierten Spiegeln jedesmal leicht frösteln ließ.
Nun stand er davor.
Die Ecke war so eingerichtet, daß er sein Spiegelbild gleich dreimal sehen konnte, worauf er im Augenblick wirklich keinen gesteigerten Wert legte – ramponiert, wie er aussah.
Er zog die erste Schiebetüre auf. Karlas Abendgarderobe: silber, schwarz und grau, die Farbkombination, die sie so liebte, und ziemlich vollständig, wie ihm schien. Also weiter: Departement Unterwäsche. Er ließ den Anblick wieder verschwinden. Hier – die Wintermäntel, und weiter oben, in zwei Fächern untergebracht, ihre wichtigsten Koffer.
Jetzt wurde es interessant.
Vor zwei Jahren, als ihm Karla mit der gleichen eiskalten Chirurgenschärfe verkündet hatte, sie werde ›für einige Zeit‹ zu ihren Eltern ziehen, hatte er sich in derselben Situation befunden: vor einer geöffneten Schranktür stehend, Kleider zählend. Lächerlich, doch wohl auch das einzige Indiz, das über die seelische Beschlußlage und die Echtheit einer Entscheidung Auskunft gab.
Nun, nach den Koffern zu urteilen, schien es Karla diesmal ernst zu meinen. Sie waren so ziemlich alle weg. – Und wieso? Der Blick auf den Restteil der Schrankwand zeigte, warum: weitgehende Leere.
Diesmal machte sich Richard Saynfeldt nicht mehr die Mühe, den Schrank zu schließen. Er drehte sich um und ließ die Schlafzimmertür hinter sich zuknallen. War schon ein Ding …! Was er jetzt brauchte, war ein Whisky.
Er war halb auf der Treppe, als er das Telefon am Kamin der Wohnhalle läuten hörte.
Natürlich ließ er sich Zeit, er ging nicht schneller, auch sein Atem war wieder ruhig, in ihm war eine Art heitere Leere: Karla …? Vielleicht ihre Mutter? Wir werden ja sehen …
Es war die Geschäftsstelle II der Staatsanwaltschaft und am Apparat Friedhelm Mahlzahn, der Leitende.
»Da sind Sie ja, Saynfeldt. Ich freue mich, Sie zu erwischen.«
»Da haben Sie auch Glück gehabt. Ich bin gerade zur Tür hereingekommen.«
Richard sparte sich das: »Na, was gibt's denn so umwerfend Wichtiges?« Mahlzahn, der leitende Oberstaatsanwalt, gehörte nicht zu den Hysterikern im Amt: Golfspieler, Pfeifenraucher, passionierter Kunstsammler noch dazu – weiß der Teufel, warum er sich eigentlich den Administrationsjob hatte anhängen lassen.
»Ach nein? Gerade vom Urlaub zurück? Dann tun Sie mir doppelt leid, Saynfeldt. Aber ich wollte Sie doch innerlich auf das vorbereiten, was Ihnen bevorsteht, wenn Sie morgen in den Laden kommen. Das Programm war übrigens nicht meine Idee, aber Sie wissen doch – der Alte nennt so was ›Strategie‹. Er wollte das so …«
Der ›Alte‹, der ›General‹ – Generalstaatsanwalt Herbert Hasselbarth gehörte zu jener Sorte von Juristen, deren Credo darin bestand, jeden Vorgang und jedes Verfahren in wütend-penibler Kleinarbeit gegen alle möglichen Rückschläge und Schwierigkeiten abzusichern, und das schon deshalb, weil er jede Prozeßniederlage einer seiner Staatsanwälte als eine Art persönliche Beleidigung, ja als Angriff auf seine Position wertete. Mit seiner grauen, wirren Mähne, die Halbbrille ganz vorne auf der Nase und stets bereit, in eine seiner berüchtigten Suadas über Reformstau und verfehlte juristische Gesetzgebung auszubrechen, wenn nur irgendwo auf fünfzig Meter Entfernung ein Politiker oder Journalist auftauchte, war Hasselbarth eine einzige Katastrophe – und das Schlimmste an ihm: Er war dazu noch dumm.
Sie wußten es beide. Und zu ändern gab es nichts.
»Sie haben sicher von dem Fall Ladowsky gehört«, sagte Mahlzahn. »Jedes Blatt und Blättchen ist ja voll davon, jeder bekloppte Moderator quasselt darüber.«
»Ja.« Richard Saynfeldt war vorsichtig; er fühlte, wie seine Fingerspitzen sich erwärmten. Also doch, dachte er.
Da stand er nun in diesem leeren Raum in seinem leeren Haus – und alles, was ihn gerade belastet hatte, war wie
Weitere Kostenlose Bücher