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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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damit hast. Die Gewohnheit konditioniert dich doch wie die Wurst den Hund: eine Uhr, ein Telefon? Und wenn Richard tatsächlich anrufen sollte, würdest du vermutlich sofort auflegen. Das Kapitel Saynfeldt ist zu Ende, mach dir das klar. Und doch leidest du unter diesem lächerlichen inneren Zwang, immer wieder die Seiten durchzublättern … Hör auf damit, dachte sie. Laß es sein! Die nächste Pause gehört dir, geh raus, nimm deine zehn Minuten, setz dich in ein Café, schau dir die Autos oder die Menschen dort unten in der Korneliusstraße an, mach, was du willst – aber laß endlich dieses alberne Spiel.
    Isabella hielt sich an ihr Therapierezept, sie nahm den Espresso unten beim Italiener, fühlte sich sogar wohl dabei, ließ sich so viel Zeit, daß sie zu spät in die Praxis zurückkehrte und etwas geschah, das sie sonst nie zuließ: vor dem vorwurfsvollen Gesicht eines Klienten eine Entschuldigung murmeln zu müssen …
    Um ein Uhr hatte sie es hinter sich.
    Was Isabella dann unternahm, tat sie ohne jede rationale Überlegung. Sie fuhr in die Innenstadt, parkte den Wagen in einem Parkhaus am Roßmarkt und blieb vor einem der bonbonfarbenen, frisch restaurierten Häuser aus den Gründerjahren stehen. Im Erdgeschoß war die Reiseagentur untergebracht, bei der sie ihre Flüge zu buchen pflegte. Isabella zögerte keine Sekunde, sie stieß die gläserne Schwingtür auf. Der große Raum war ziemlich leer, obwohl die Saison doch bevorstand.
    »Hallo! Guten Tag, Frau Doktor!«
    Das junge, hübsche, blonde Mädchen hinter dem Tisch hieß Anni Seifert, wenn sie sich recht erinnerte. Sie war nicht nur nett, sie war auch clever und hatte ihr in den unmöglichsten Situationen schon Buchungen herausgefingert. Nun erhob sie sich. »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Und ob Sie das können, Anni. Ich bin urlaubsreif. Es geht einfach nicht weiter. Ich muß dringend weg.«
    »Aber sicher. Natürlich. Was haben Sie sich denn vorgestellt, Frau Doktor?«
    »Das ist es ja … Ich meine, ich habe …«
    Isabella merkte, daß ihr nicht nur die Worte fehlten, daß sie auch noch leicht stotterte. Wann hatte sie so was zum letztenmal erlebt?
    »Ja, Anni, um ehrlich zu sein, wenn ich das wüßte, wäre es mir wohler. Was ich will, ist nichts als Distanz, Abstand zu allem, irgendwohin, wo's warm ist, irgendein Ort, der weit weg und von möglichst viel Meer umgeben ist.«
    Anni schien die Antwort vollkommen normal zu finden. Vielleicht war sie derartige Kunden gewöhnt.
    »Nun, die Seychellen. Oder die Karibik? Auch auf Kuba haben wir ein neues Programm. Da gibt es jetzt sehr schöne, moderne Hotels.«
    Karibik, Seychellen, Kuba …?
    »Warum schauen wir nicht zusammen einige Prospekte an, Frau Doktor, damit Sie sich ein Bild machen können?«
    »Genau, das tun wir. O ja – vielen Dank, Anni …«
    * * *
    Es gab drei Sonnen über ihm: In milchigem Nebel schwangen sie nach links, schwangen nach rechts. Ludwig Ladowsky kannte sie, sie waren mit Schlimmem, sie waren mit Schrecken und Schmerz, mit Gesichtern und Stimmen verbunden.
    Er schloß die Augen, preßte die Lider aufeinander, wollte in seiner Kapsel bleiben – und wußte doch, daß er nicht durfte.
    Sie holen mich, sie wollen mich, und alles wegen dir, mein Hurenpüppchen! Alles wegen dir … Du hast es hinter dir, mich lassen sie nicht in Frieden …
    »He! Wie haben wir's denn?«
    Die Stimme kam von weit her, eine tiefe, sonore Männerstimme, und was darin schwang, war eine Art jovialer, drohender Bösartigkeit, die sein ganzes Inneres mit dumpf pulsierender Angst erfüllte. Seine Hände verkrampften sich.
    »Na, komm schon, Dreckschwein … Komm, dein Süppchen ist da. Wir tun doch alles für dich. Brauchst was zu essen … Na los, tu nicht so, bist doch wach, Junge – Drecksau … Los!«
    Auch das letztemal war es das gleiche gewesen: »Komm schon, Drecksau!« Und dann dieser furchtbare Schmerz, als ihm mit brutaler Langsamkeit der Beinverband abgezogen wurde.
    »Nein, bitte, nein«, stöhnte Ladowsky.
    »Was nein …? Willst nix essen oder so?«
    Zwei Fingerkuppen klemmten wie Stahlzwingen seine Nase ein. Er warf sich zurück, der Schmerz schoß von seiner Hüfte bis zum Herz hoch.
    »Lassen Sie mich!«
    »Na siehste, jetzt wirste doch lebendig. Sollste auch bleiben … Dich brauchen wir lebendig … Und das noch 'ne ganze Weile.«
    Mit einem metallischen Klicken fuhr der Gefangenenpfleger den Kopfteil des Bettes hoch. Die Benommenheit, dieses angenehme Kokongefühl, in das ihn die

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