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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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abziehen.«
    »Gefühlsschau? – Herr Reuter: Ladowsky ist keine Marionette, das ist ein zutiefst gestörter Mensch.«
    »Ja, aber weinende Mörder, die ihre Mütter anklagen, sind keine Zugnummern. Und schon gar nicht bei den Schöffen. – Er soll ruhig mich reden lassen. Meine Zeugen werden beweisen, daß er in seine Unzurechnungsfähigkeit geradezu hineingeprügelt worden ist.«
    »Und ich dachte, das sei meine Sache, Herr Reuter?«
    »Von der höheren Warte aus, meine Liebe, von der höheren Warte. Wissenschaftlich eben … tiefenpsychologisch, oder wie Sie das nennen wollen. Wir spielen ein Doppel, Isabella, und wir werden unschlagbar sein.«
    »Das Doppel spielt Saynfeldt auch. Und wenn ich an seinen Partner denke, wird mir schlecht.«
    »Haben Sie Angst vor Professor Lüttker?«
    »O nein. Der ist, was er schon immer war: ein Betonkopf aus dem Mittelalter.«
    »Aber immerhin, der Mann betreibt seit zwanzig Jahren sein Geschäft. Auch wenn Ihre Branche über ihn den Kopf schütteln mag, die Richter beeindruckt das. – Und Sie, Isabella, was sind Sie? Eine Emanze, die ihre forensische Qualifikation nach einem Schnellkurs erhielt.«
    »Warum sagen Sie das ausgerechnet jetzt?«
    »Um herauszubringen, ob es Sie nervös machen könnte.«
    »Scheißanwälte«, sagte sie erbittert. »Ob Professoren oder Winkeladvokaten!«
    »Das klingt schon besser. – Die Frage ist trotzdem nicht beantwortet.«
    »Ob ich bei Lüttker nervös werden könnte? Da machen Sie sich mal keine Sorgen … Wissen Sie, was am besten wäre? Wenn Sie ihn gleich bei Beginn der Verhandlung für befangen erklärten. Ich habe Ihnen dazu eine ganze Sammlung von Zeitungsausschnitten vorbereitet. Und die fängt bei seinen ständigen Kastrationsforderungen an, obwohl längst erwiesen ist, daß Kastrationen überhaupt nichts bewirken, und bringt dann in allen Varianten sein ewiges Thema: Solche Täter sind nicht behandelbar, sie entziehen sich jeder Therapie! – Ich sage Ihnen, Steinzeittypen wie ihm gehört das Handwerk gelegt …«
    »So ist es gut!« kicherte Reuter. »So gefallen Sie mir, Isabella.«
    Neun Uhr zwanzig. Noch keine zwölf Stunden bis zum Prozeß …
    Nach dem Gespräch mit Reuter ging Isa in die Küche zurück und wühlte unter den Packungen im Tiefkühlfach ihres Kühlschranks. Sie mußte sich zwingen, etwas zu essen. Morgen würde nicht nur ihre Kraft, morgen würden vor allem ihre Nerven gebraucht. Und Nerven benötigen Nahrung.
    Sie wählte irgend etwas mit Brokkoli und Kalbsmedaillons, doch dann, als das Essen auf dem Glastisch vor ihrer Couch stand, stocherte sie lustlos darin herum. Sie zwang sich zu ein paar Bissen, trank ein Glas Wein, ging unruhig wie eine Tigerin im Käfig durch die Wohnung, schließlich zur Balkontür, und dachte an Berlings Warnung.
    »Zeigen Sie sich nie an einem erleuchteten Fenster …«
    Zum Teufel damit! Sie zog die Jalousien hoch und atmete tief die kühle Luft ein, die von den Parkbäumen herüberstrich; dann räumte sie das Geschirr ab und setzte sich wieder auf ihre Couch. Und als sie sich nun zurücklehnte, fiel ihr Blick auf einen kleinen, holzschimmernden, dunklen Kopf, der über die Kante des Bücherregals auf sie herunter sah: La muñeca … Die Augen der Puppe waren schräg, freundlich und schwarz. Schwarz war auch ihr Indiohaar und braun die Sackfetzen, aus denen Isas alte Nani, das Kindermädchen, sie zusammengenäht hatte.
    Isa streckte den Arm aus, zog sie herunter auf ihren Schoß und legte ihre rechte Hand um den Kopf. Sie fühlte, wie sie ruhiger wurde. Das war immer so gewesen. Die muñeca tröstete, wußte alles, hatte alles gesehen, alles erlebt – und war weitgereist …
    Die muñeca hatte in Isas Koffer gelegen, als sie vor zwanzig Jahren das Haus ihrer Mutter in Miraflores verließ, um über den Atlantik nach Switzerland zu fliegen, der ›herrlichen Schweiz‹, von der ihr Mama immer vorgeschwärmt hatte, und sie lag auch im Internatsspind der International Girls School. Später, als Isa in Göttingen mit dem Studium begann, hatte sie die Puppe an einem Nagel direkt über ihrem Bett aufgehängt. Dort hatte die muñeca den Besuchern zugesehen und zugehört, auch den wenigen, die über Nacht bei ihr geblieben waren. »Dein magisches Ding«, hatte ihr Lehrer Ernst Hauschild sie genannt und mit der Puppe Zwiesprache geführt. »Es schützt dich, davon bin ich überzeugt.«
    Nur ein einziges Mal hatte der Schutz versagt – als Patrick aufgetaucht war.
    Patrick war lang, blond,

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