Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
Und um es frei zu bekennen, lieber Leser: ich finde die Welt, die sie beim Auftun erblicken, recht nach meinem Geschmack. Schluß also mit dem weichlichen Jammern und Klagen! Ist es denn nichts, am Leben zu sein? Alle Tage danke ich dem Herrn, daß er mich zu Paris heil und gesund erhalten, auf daß ich mit voller Lust ins Leben zu beißen und es so recht zu genießen vermag. Sapperment, soll mein älterer Bruder Baron von Mespech und halber Baron von Fontenac werden! Ich möchte trotzdem nicht mit ihm tauschen, denn mein Sein ist mir lieber als sein Haben! In meinem Säckel klingen, abzüglich Ring und Halskette, noch die zweihundert Dukaten des Herzogs von Anjou sowie die dreihundert aus dem Verkauf meiner Perlen. Zusammen macht das schon ein kleines Vermögen. Dazu das kleine Kapital, das mein Doktorhut darstellt, und der treffliche Jarnacsche Fintstoß, der dieSpitze meines Degens so gefährlich macht. Auch sind Giacomi und Miroul keine geringen Gefährten, ebensowenig mein wackerer Schweizer aus Bern, von dem ich nicht weiß, ob er sein Leben lang auf Mespech bleiben will, denn er redet soviel von seinen Heldentaten. Und so gibt es Tage, wo ich mich mitnichten als Medicus in Périgueux oder gar in Sarlat sehe, so sehr jucken mir die Schenkel, wieder die Flanken meiner Pompea auf den Landstraßen des Königreiches zu pressen.
Gegenwärtig sind das noch Träume, und was daraus wird, steht auf einem anderen Blatt. Vielleicht wird es mir gegeben sein, dieses Blatt meiner Lebensgeschichte hinzuzufügen, so Gott will und mich lange genug gesund und am Leben erhält.
Informationen zum Buch
Sommer 1572. Der junge Pierre de Siorac, Sohn eines hugenottischen Edelmannes aus dem Périgord und gerade frischgebackener Mediziner, muß sich – wegen eines Duells von des Todesstrafe bedroht – in die Hauptstadt flüchten, die Gnade des Königs zu erflehen. Er ist tolerant im Glauben und schlagfertig, listig, intelligent im Leben, dazu von unwiderstehlicher Ausstrahlung auf Frauen – Talente, die ihm bei seinem gefahrvollen Vorhaben sehr von Nutzen sind. Er lernt das Paris der kleinen Leute kennen, aber auch den prunkvollen, düsteren Louvre. Er hofiert hohe Damen, die wahre Kokotten sind. Er begegnet den Günstlingen der Prinzen und den großen Geistern der Zeit. Seinem Geschick verdankt er es, daß er schließlich dem König vorgestellt wird und seine Begnadigung erlangt. – Aber in Frankreich tobt seit zehn Jahren ein mörderischer Glaubenskrieg zwischen Katholiken und Hugenotten, der in der Nacht des 24. August – der Hochzeitsnacht der katholischen Königstochter Marguerite mit dem „Ketzer“ Henri de Navarre – ihren blutigen Höhepunkt erreicht. Und auch Pierre de Siorac wird in den Strudel der Bartholomäusnacht gerissen.
Informationen zum Autor
ROBERT MERLE (1908–2004) hat mit der Romanfolge »Fortune de France« über das dramatische Jahrhundert der französischen Religionskriege sein wohl bedeutendstes Werk vorgelegt. Er erzählt darin die Geschichte dreier Generationen der Adelsfamilie Siorac, zunächst auf Burg Mespech in der Provinz Périgord, später am Hof in Paris. Die insgesamt dreizehn Romane der Folge, die den Zeitraum von 1550 bis in die vierziger Jahre des 17. Jahrhunderts überspannen, liegen nun alle in deutscher Übersetzung vor:
Fortune de France
In unseren grünen Jahren
Die gute Stadt Paris
Noch immer schwelt die Glut
Paris ist eine Messe wert
Der Tag bricht an
Der wilde Tanz der Seidenröcke
Das Königskind
Die Rosen des Lebens
Lilie und Purpur
Ein Kardinal vor La Rochelle
Die Rache der Königin
Der König ist tot
Fußnoten
ERSTES KAPITEL
1
(lat.) Dies zu wissen ist dem Jüngling heilsam.
1
Dieses Exemplar befindet sich heute in der Nationalbibliothek. (Anmer kung des Verfassers)
1
(lat.) Gehab dich wohl, mein Sohn; und wie dein Vater schäme dich nicht der Liebe mit einer schönen Dienerin.
1
Anspielung auf Matthäus 23, 27: »… ihr Heuchler, die ihr gleich seid wie die übertünchten Gräber, welche auswendig hübsch scheinen, aber inwendig sind sie voller Totengebeine und alles Unflats!« (Anmerkung des Übersetzers)
ZWEITES KAPITEL
1
(lat.) nach allgemeiner Meinung.
1
(lat.) dies ist eine umstrittene Frage.
1
Glaubet meiner Erfahrung.
2
Wir verehren das Althergebrachte, alles Neue bedeutet uns nichts.
1
(ital.) Kein Schmerz ist größer, als sich der Zeit des Glücks zu
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