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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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wurde als Deutschenflittchen und ich als Verräterbastard bezeichnet. Wir zogen nach Ärhus und später mit meinem Stiefvater nach Seeland. Der kannte die Vergangenheit meiner Eltern nicht. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich habe die Fälle untersucht. Vierhundert wurden liquidiert wie mein Vater. Die Verfahren sind längst eingestellt. Die bürgerliche Gesellschaft hat uns für immer verurteilt. Aus Mördern wurden Helden. Aus Opfern Henker. Die Gerechtigkeit wurde mit der Wahrheit zusammen beseitigt, in Heuchelei erstickt.«
    Vorsichtig berührte ich sein Gesicht.
    »Du hast deinen Vater verloren wie ich. Deshalb verstehst du mich so gut«, sagte ich.
    »Nicht nur deswegen, Geliebte. Aber es ist ein Teil der Erklärung. Wir können unsere Väter nicht zurückbekommen. Sie sind uns für immer genommen, aber wir können hoffen, daß sie eines Tages rehabilitiert werden. Nicht weil sie gute Menschen waren, sondern weil sie ungerecht behandelt wurden und wir für das büßen mußten, was die Gesellschaft die Verbrechen der Väter nennt.«
    »Du verstehst, was es bedeutet, sich verraten zu fühlen. Sich innen so leer und schwarz zu fühlen, daß man sich vorkommt, als wäre man aus Glas und würde von bösen Augen angestarrt.«
    »Das verstehe ich.«
    »Danke«, sagte ich bloß.
    Er lächelte, und ich nahm sein Gesicht in beide Hände und bedeckte es mit kleinen Küssen und gelangte schließlich zu seinem Mund mit der gierigen Zunge. Er legte mich auf den Rücken, und wir liebten uns mit einer stillen und heftigen Leidenschaft, als könnten wir nie wieder voneinander loskommen.
    Am ersten Weihnachtsfeiertag fuhr E. mit mir mit dem Rad in den Wald nördlich der Stadt. Es war ein ruhiger Vormittag, die kahlen Bäume waren vom winterlichen Nebel umhüllt und sahen aus wie in Watte gepackt. Schweigend fuhren wir nebeneinanderher. Auf der Straße waren nur wenige Menschen, wir hörten die Kirchenglocken zum Gottesdienst läuten, als wir die Stadt verließen und in den Wald fuhren. Die Erde war feucht und matschig, so daß wir die Räder über die schlammigsten Stellen schieben mußten. Ich hatte einen kleinen Kater und war müde, aber gleichzeitig klar und fast euphorisch. Wir stellten die Fahrräder am Rand eines Tannendickichts ab, und E. führte mich hinein. Unter den Stämmen tropfte es von den grünen Nadeln auf meinen Mantel und meine Mütze herab. Am Rand der großen Pfützen, die unseren Weg bedeckten, konnten wir deutliche Rehspuren erkennen. Auch ohne Schnee gingen wir durch einen schönen, kalten dänischen Winterwald mit weißem Dunst und dem feuchten, ruhigen Tropfen von den Nadeln oder unbelaubten Zweigen herab. E. hielt mich an der Hand und zog mich fast zwischen den Tannen hindurch auf eine Lichtung, die offensichtlich von Menschen gerodet worden war. Wir standen tief im Wald. Es war vollkommen still. Und doch schien der Winternebel die Stille noch zu verstärken.
    Auf der Lichtung stand ein Mann in einem alten schwarzen Mantel und einer abgetragenen grauen Mütze. Er war groß und hatte ein markantes, schmales Gesicht. Er stand etwas gebückt an einem kleinen grauen Stein, der unauffällig, aber dennoch wie das natürliche Zentrum der Lichtung dastand. Daneben stand ein Adventsstern mit seinen roten Hochblättern. Der Mann schaute uns entgegen. Er war um die Vierzig und hatte graue, klare Augen, ähnlich wie die von E.
    »Irma. Das ist mein Onkel«, sagte E.
    Ich zog meinen Handschuh aus und reichte ihm die Hand. Sie war fest, trocken und kalt.
    »Guten Tag«, sagte ich höflich. Trotzdem war mir seltsam zumute. Hier stand ein Mensch, der meinen Vater ganz anders gekannt hatte als ich.
    »Es ist mir eine Freude, die Tochter eines tapferen Mannes kennenzulernen«, sagte Karl Viggo. Seine Stimme war tief und raspelnd, als rauchte er zu viele starke Zigaretten.
    »Werden Sie mir von ihm erzählen?«
    »Wir werden zusammen zu Mittag essen. Dann werde ich alles erzählen, was ich weiß.«
    Ich trat vor und sah mir den Stein an. Darauf stand: Sie fielen für Dänemark.
    »Das ist nur der Anfang«, sagte er. »Eines Tages werden wir einen richtigen Stein errichten, hier und drüben im Osten, wo die Kameraden begraben liegen. Eines Tages werden sie rehabilitiert werden, und die Gerechtigkeit wird siegen.«
    »Mein Onkel bekam nach dem Krieg drei Jahre Gefängnis«, sagte E. »Er saß ein paar Monate mit deinem Vater im Frøslev-Lager. Man hatte es in Faarhus-Lager umgetauft. Karl Viggo und dein Vater wurden

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