Die guten Schwestern
Massenvergewaltigungen. Der Reporter berichtete, daß Albanien, obwohl Europas ärmstes Land, mittlerweile mehr als eine halbe Million Flüchtlinge aufgenommen habe. Die Lage sei chaotisch. In Dänemark war eine heftige Debatte über einen Regierungsvorschlag entbrannt, dem zufolge zweitausend Kosovo-Albanern Asyl gewährt werden solle, und Per sah schon wieder das alte kämpferische Funkeln in Lises Augen. Aber sie fragte nur:
»Was macht eigentlich dein Fall?«
Er schaute auf. Sie fragte nicht sehr oft nach seiner Arbeit. Sie wußte, daß er über vieles nicht reden durfte.
»So lala.«
»Hier steht, ihr hättet gegen die Untersuchungsgefangene nichts in der Hand. Und daß ihr sie laufenlassen müßt.«
»Das ist nicht ganz falsch.«
»Und dann?«
»Dann kriegt sie eine Riesenentschädigung.«
»Das ist ja wohl auch mehr als billig.«
»Sie ist in irgend etwas verwickelt. Da bin ich mir ganz sicher.«
»Aber du kannst es nicht beweisen?«
»Nicht, wie der Fall sich im Moment darstellt. Die Spur ist nicht eindeutig genug.«
»Dann ist es ja wohl auch gerecht, daß sie freigelassen wird. Man ist doch in diesem Land immer noch unschuldig, bis das Gegenteil erwiesen ist.«
»Selbstverständlich.«
»Dann ist es doch auch gerecht, daß sie eine Entschädigung bekommt, oder?«
Er blickte auf.
»Suchst du Streit?«
»Überhaupt nicht. Ich frage nur.«
»Meine Meinung ist völlig gleichgültig. Das Gesetz gibt ihr das Recht auf eine Entschädigung. So ist es nun mal.«
»Schon gut«, sagte sie spitz und widmete sich wieder ihrer Zeitungslektüre.
»Irgend etwas stimmt nicht mit ihr. Das weiß ich. Sie hat ihr Land verraten. Sie ist indirekt daran schuld, daß Menschen getötet wurden. Sie gehört ins Gefängnis«, sagte er.
Sie sah von ihrer Zeitung auf. Sie hatte ihr Haar nur mit einem Gummi hochgebunden, aber er fand, sie war das Schönste, was er je gesehen hatte. Nur die Augen waren matt und etwas müde. Sie bekommt nicht genug Schlaf, dachte er.
»Und nun, Per?«
»Wir müssen sehen, ob die Spur noch was anderes hergibt. Ich habe noch nicht aufgegeben.«
»Noch mehr Überstunden?«
»Das gehört zu meinem Job. Du hättest keinen Polizisten heiraten sollen.«
»So ein Quatsch. Wechselnde Arbeitszeiten kenne ich selber. Ich war mal Journalistin. Weißt du das noch?«
»Du bist immer noch Journalistin.«
»Ich bin eine trächtige Kuh«, sagte sie und sah wieder in die Zeitung, aber er hatte den Eindruck, daß der Artikel, den sie gerade las, sie nicht sonderlich fesselte. Sie sah wieder hoch.
»Per, du hast versprochen…«
»Ich werde schon dasein.«
»In weniger als zwei Wochen soll es soweit sein.«
»Ich bin da, Lise. Trust me!«
»Es ist unser Kind, Per. Unser gemeinsames Wunder. Es ist unseres, unseres. Ich habe nicht geglaubt, ein Kind kriegen zu können. Aber es ging. Mit dir. Es ist unser gemeinsames Kind, Per.«
Jetzt sah er die Tränen in ihren Augenwinkeln. Er stand auf, stellte sich hinter ihren Stuhl und legte die Arme um sie, so daß sich die Hände über ihrer Brust kreuzten, und küßte ihren Nacken, kleine nippende Küsse, während er vorsichtig ihren Busen und ihren Bauch streichelte. Er fühlte die Bewegung und die strampelnden Füße unter der Haut, als wollte das Kind mit seiner Hand Fußball spielen. Lise lachte und weinte und stöhnte.
»Sie tritt verflucht hart«, sagte sie. »Per, verdammt, gib mir ein Kleenex. Ich kann mich selbst so nicht ertragen.«
Er ließ sie los und holte ein Papiertaschentuch. Sie trocknete sich die Augen und putzte sich die Nase. Er gab ihr noch ein Taschentuch, und schnaufend wiederholte sie die Prozedur. Ihre Augen waren rot und geschwollen wie das ganze Gesicht.
»Ich liebe dich, Lise«, sagte er.
»Wie kannst du mich lieben, wenn ich so aussehe und mich wie eine dumme Kuh benehme?«
»Gans.«
»Kuh!«
»Muuuh.«
Lise mußte lachen.
»Ach, Per, du Dummer. Oder ich – ich bin noch viel dümmer. Ich hab einfach so die Nase voll vom Schwangersein. Ich freue mich wie eine Irre, und gleichzeitig habe ich natürlich Angst.«
»Ich bin bei dir, Lise.«
»In Ordnung. Ich bin wieder okay. Es sind einfach diese Vormittage. Und du, der einfach abhaut und den ganzen Tag weg ist. Aber ich weiß, das ist dein Job. Also geh und fang deine Spione.«
»Der Urlaub steht fest. Das habe ich Vuldom gesagt.«
»Auch, wenn ihr sie freilaßt? Dann seid ihr doch erst richtig gefordert, oder?«
»Ja. Wahrscheinlich.«
Lise zeigte auf die
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