Die guten Schwestern
des Prager Restaurants rann, suchte ihn im wachen und im schlafenden Zustand heim. Manchmal ganz realistisch. Manchmal war es orange und fast fluoreszierend. Und manchmal lag er selbst auf dem Boden, während sein Doppelgänger daneben stand und einen Notizblock in der Hand hielt. Lise war wütend und gekränkt gewesen. Erst hatte er gedacht, sie sei sauer, daß er nicht zu Hause angerufen und sich nach ihrem Befinden erkundigt hatte, aber dann war ihm klargeworden, daß sie sich im Stich gelassen gefühlt hatte. Sie hatte ihn als Egoisten empfunden, der nur an sich selbst und seine verfluchte Arbeit dachte. »Sprich mit mir, verdammt noch mal!« hatte sie gebrüllt, dann hatte sie angefangen zu weinen. Und er hatte wie ein Idiot in der Küche gestanden und auf das unbepflanzte Erdreich im Garten gestarrt, statt zu ihr zu gehen und sie in den Arm zu nehmen. Wenn er sie so sehr liebte, warum war er dann in Gefühlsdingen so unbeholfen. Es waren ein paar seltsame Tage gewesen, in denen sie umeinander herumgeschlichen waren wie zwei Fremde. Sie hatten noch nicht über seine Reise oder die mangelnde Kommunikation in dieser Zeit gesprochen, und eigentlich schaffte es erst das ungeborene Kind, die schlechte Stimmung zu verscheuchen. Eines Abends bei den Fernsehnachrichten strampelte es dermaßen stark, daß sie unter der glatten, gespannten Haut die Umrisse eines Fußes erkennen konnten. Sie hatten beide angefangen zu lachen, als Lises dicker Bauch wie ein riesiger Basketball hüpfte. Die Stimmung hatte sich geändert, und sie hatten sich geküßt, so daß sein Glied groß und hart wurde, aber das nützte ja nicht.
Lise seufzte und schnarchte ein wenig. Sie lag mit halb geöffnetem Mund in dem zarten, grauen Aprillicht da, und er ließ sich von seiner Liebe und einem altmodischen Beschützerdrang überwältigen, aber er kannte sich zu gut, als daß er hier im Dämmerlicht falsche Versicherungen abgeben würde, nein, das würde er nicht tun, weder Lise noch sich selbst gegenüber. Er war, wie er war. Vielleicht könnte er sich in Lises Augen etwas verbessern, aber grundlegend zu ändern war er nicht. Meinte er jedenfalls selbst, während er davon überzeugt war, daß Frauen grundsätzlich immer meinten, einen Mann ändern zu können, damit er in ihr Bild paßte. Damit er wurde, wie sie es wünschten. Die Art und Weise, auf die Frauen stets versuchten, ihre Männer zu verbessern und umzumodeln, hatte etwas Erlöserhaftes. Galt das auch für Lise?
Per Toftlund tat, was er immer tat, wenn ihm die Gedanken zu sehr auf den Pelz rückten. Er reagierte körperlich. Er liebkoste Lises Bauch und küßte sie auf die Wange, so daß sie genießerisch seufzte. Dann machte er seinen Waldlauf in den dunstigen Morgen hinaus, dessen Licht und zarte Farben den Frühling verhießen. Nach der Dusche ging er zu Lise und gab ihr einen dicken Morgenkuß. Sie stand in der Küche, hielt sich den Rücken und ließ die Hand mit dem Teebecher auf dem dicken Bauch unter den schweren Brüsten ruhen.
»Es ist bald überstanden«, sagte er.
»Ich freue mich schon. Alles ist bereit.«
»Du hast ein richtiges Nest gebaut.«
»Wer hätte das von einer Karrierefrau wie mir gedacht«, sagte sie lachend, und er war froh, weil sie an diesem Morgen so guter Laune war. Das Haus duftete sauber und frisch. Die Babysachen, die sie gekauft oder von Freunden und Familienmitgliedern übernommen hatten, lagen frisch gewaschen und gebügelt in ordentlichen Haufen in Schränken und Schubläden, die Wiege stand mit der kleinen Decke und dem schwach nach Waschmittel duftenden Bettzeug bereit, und im Carport wartete der Kinderwagen ebenso ungeduldig wie sie selbst. Die letzten acht Tage hatte Lise saubergemacht und alles vorbereitet, als hätte eine biologische Uhr sie dazu getrieben. Die Putzhilfe wurde einen ganzen Tag zusätzlich bestellt, und die beiden Frauen hatten das Haus gescheuert, so daß nicht einmal in der entferntesten Ecke noch ein einziger Fussel aufzutreiben war. Frauen hatten viele Seiten, die für Toftlund ein Mysterium darstellten.
Sie frühstückten, lasen Politiken und hörten Radio. Wenn das Wetter es zuließ, bombardierte die NATO nach wie vor Jugoslawien und den Kosovo, der noch immer Tausende von Flüchtlingen in die Nachbarländer Mazedonien und Albanien schickte. Die ankommenden Flüchtlinge waren durchnäßt, durchgefroren und ausgehungert und präsentierten ungeheuerliche Geschichten von Mord, niedergebrannten Häusern, Folter und
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