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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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mochte den Gedanken nicht, sich eventuell in eine zu verknallen. Er versuchte, sich zu konzentrieren und sie nicht anzusehen. Er befürchtete, Vuldom könne ihn durchschauen. Sie hatte die Begabung, in Menschen hineinsehen zu können. Teufel noch mal, er war doch ein verheirateter Mann mit einer hochschwangeren Frau. Aber er war auch ein normaler Mann, und seit Wochen war zwischen ihm und Lise kein Sex mehr möglich gewesen. Einmal hatte sie danach geblutet. Die Blutung hatte sich zwar als harmlos herausgestellt, aber der Arzt in der Ambulanz hatte ihnen von einem weiteren Beischlaf abgeraten. Es gab ja keinen Grund, irgendwelche Risiken einzugehen. Es hatte sich so einfach und unkompliziert angehört, aber sie sehnten sich beide danach, richtig miteinander zu schlafen. Da war er wieder. Dieser plötzliche, sekundenkurze Zustand, in dem die Welt um ihn herum sich verlor und die Umgebung ausgeblendet war, bis etwas von außen ihn aufrüttelte und in die Wirklichkeit zurückholte.
    Es war Jette Vuldoms sarkastische Stimme.
    »Toftlund…? Dürfen wir vielleicht anfangen? Oder mußt du noch ein bißchen nachsinnen?«
    »Nein, ich bin bereit.«
    »Super. Das sind wir nämlich schon ‘ne ganze Weile.«
    Toftlund sammelte sich und begann seinen Vortrag, wobei er versuchte, seine alte Selbstsicherheit wiederzufinden.
    »Wir haben die verschiedenen Personen miteinander verknüpft, alles weist in dieselbe Richtung, und ihre Lebensgeschichten stimmen durchgehend überein. Irma ist 1940 geboren, die Eltern waren Nazis und stehen beide in der Bovrup-Kartei. Der Vater war unter den ersten, die sich 1941 in das neu gegründete Freikorps Dänemark gemeldet haben. Er diente zunächst an der russischen Front, später in Jugoslawien und dann wieder in Rußland. Desertierte offenbar, aber jetzt wissen wir, daß er sich illegal in Jugoslawien aufhielt. Fritz wurde 1943 neun Monate nach dem Urlaub des Vaters in Dänemark geboren. Sein Leben ist undramatisch verlaufen. Ausgebildeter Bäcker, Wehrpflicht, verheiratet, Kinder, solide Finanzen, großes Unternehmen, anständiger Staatsbürger. Das einzig Ungewöhnliche an ihm ist, daß er dem Veteranenverband ehemaliger Freikorpsangehöriger Geld überweist. Aber das liegt natürlich am Vater. Fritz ist seit 1982 Mitglied der Konservativen Volkspartei. Teddy ist 1948 geboren. Etwas sprunghafte Karriere, unklare Finanzen, mehr Frauen und Freundinnen, als ich zählen kann, aber nichts Kriminelles. Vom Stiefvater adoptiert. Ich bin mir sicher, daß es für ihn eine ziemliche Überraschung war, daß er eine Halbschwester hat und der Vater nicht gestorben ist, als er klein war. Sowohl Teddy als auch Fritz haben tadellos mit uns zusammengearbeitet. Ebenso ihre Freunde und die übrigen Familienmitglieder. Die Mutter hat ihre Vergangenheit vergessen. Lebt in einem Pflegeheim auf Fünen. Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium. Es ist nichts Vernünftiges aus ihr herauszubekommen.«
    Toftlund ging zu seinem Tisch und nahm einen Schluck Mineralwasser, bevor er fortfuhr:
    »Der Nazivater kehrte nach Hause zurück, als der größte dänische Rachedurst gestillt war. Nach ein paar Monaten im Faarhus-Lager kriegte er Bewährung. Die Zeitungen haben nichts darüber berichtet. Wahrscheinlich hat ihn niemand richtig wahrgenommen, ehe er 1952 auf einer Jagdgesellschaft wiedererkannt wurde. Machte sich wieder nach Jugoslawien davon. Wir glauben, daß er die Papiere eines norwegischen Seemanns benutzt hat, der zu dem Zeitpunkt von der norwegischen Seemannskirche als vermißt gemeldet wurde. Später fand man im Hafen eine verweste Leiche mit den Papieren des Vaters. Die deutschen Kollegen meinen, der Norweger sei ermordet worden. Sie haben den Fall damals nicht weiter bearbeitet. Heute sind nur noch vergilbte Akten übrig. Und dann ist da noch Mira oder Maria. Sie ist etwa 1944 im heutigen Kroatien geboren. Sie ist sozusagen der Joker im Spiel. Eindeutig Nachrichtendienstlerin. Vielleicht Doppel- oder sogar Dreifachagentin, wie mir mein slowakischer Kontakt erzählte, und ganz allgemein eine Frau mit vielen Talenten.«
    Er machte wieder eine Pause.
    »Unsere Ermittlungen führen zum Krieg zurück. Zum Zweiten Weltkrieg und zur deutschen Besatzungszeit, aber vergeßt alles über neonazistische Verschwörungen. Es hat nichts damit zu tun. Um diesen Aspekt hat sich Charlotte gekümmert…«
    »Kurz, Charlotte«, sagte Vuldom.
    Charlotte Bastrup richtete sich auf ihrem Platz auf. Die graue Bluse paßt gut zu ihrem

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