Die guten Schwestern
wie wichtig ein Image war. Wieviel eine gute Werbekampagne bewegen kann. Daß wir keine Dinge kaufen, sondern Erlebnisse und Geschichten, wußte er instinktiv, lange bevor die Medienforscher einen Begriff dafür gefunden hatten. Außerdem sprang er schnell auf den ökologischen Zug auf und war dann derjenige in der Familie, der im Geld schwamm. Wir wurden erwachsen, als das Wirtschaftswunder Einzug hielt, und hatten unser Schäfchen ins trockene gebracht. So gesehen eine sehr normale Geschichte, wenn sie in dürren Worten erzählt wird.
Ich mußte meinen eigenen Gedanken nachgehangen haben, denn offenbar stellte sie ihre Frage schon zum zweiten Mal:
»Hast du vielleicht ein Glas Wasser für mich?«
»Entschuldigung«, sagte ich, als wäre ich ein schlechter Gastgeber, der einen eingeladenen Gast unhöflich behandelt. Und nicht eine merkwürdige Dame, die mitten in der Nacht an die Tür klopft. »Darf ich Ihnen etwas anderes anbieten? Aus der Minibar. Ein Glas Wein?«
»Wein wäre wunderbar«, sagte sie.
In der Minibar stand eine kleine Flasche französischer Rotwein von zweifelhafter Qualität. Er war auch ziemlich kalt, trotzdem schenkte ich uns zwei Gläser ein und stellte sie auf das häßliche, moderne Fliesentischchen, das neben den Sesseln stand. Den Alkohol vom Abend spürte ich nicht mehr. Ich war müde, aber klar im Kopf. Ich glaube, in meinem Unterbewußtsein hatte ich ihre Geschichte zu diesem Zeitpunkt schon akzeptiert, obwohl mein analytisches Überich die ganze Sache nach wie vor als dummes Zeug betrachtete.
Ich hielt ihr meine Zigaretten hin, sie bediente sich.
»Eigentlich habe ich ja aufgehört«, sagte sie.
»Das haben wir alle«, sagte ich und gab ihr Feuer, bevor ich mir selbst eine ansteckte. Ich nahm das Glas Rotwein und erhob es ironisch.
»Worauf sollen wir anstoßen, Madame?« sagte ich. »Auf den Tod?«
Es ging ein Zucken durch ihr Gesicht, aber die Augen blieben beinahe ausdruckslos. Es waren sonderbare Augen. Sie waren grün wie ein See in der Sonne, aber es war diese eiskalte Farbe, wie sie Bergseen haben.
»Ich habe ihn eigentlich sehr gemocht«, sagte sie.
»Okay, das war ein bißchen flapsig«, sagte ich. »Dann also auf das Leben? Oder die Vergangenheit?«
»Auf die Vergangenheit, und daß sie nicht das Leben zerstöre.«
Nachdem wir angestoßen hatten, stellten wir die Gläser vorsichtig auf das Tischchen.
»Darf ich jetzt die Geschichte von vorne hören?« sagte ich mit meiner besten Dozentenstimme.
Sie erzählte nüchtern und sachlich genau, als hielte sie eine Vorlesung oder lieferte einen Polizeibericht ab, aber es brauchte trotzdem seine Zeit. In meinem Alter hat man keine Lust mehr, zu unterbrechen und »Ist denn das die Möglichkeit!« zu rufen, wenn man erstaunliche Dinge hört, und die Geschichte war erstaunlich, aber nicht eigentlich aufregend. Wie gesagt, kannte ich meinen richtigen Vater nicht. Wenn sie von meinem Stiefvater, Poul, erzählt hätte, wäre es vielleicht etwas anderes gewesen und hätte mein Bewußtsein vielleicht mehr erschüttern können, als es jetzt der Fall war.
»Mein Vater kam Anfang September 1943 nach Kroatien. Er war damals nur Unterscharführer im Regiment Dänemark. Sie schlugen in der kleinen Stadt Sisak etwa fünfzig Kilometer von Zagreb ihr Lager auf. Meine Mutter erzählte, sie seien nervös und mager und erschöpft gewesen. Sie tranken zuviel von dem guten kroatischen Schnaps. Als ob der Alkohol die Erinnerungen verjagen könnte. Das Regiment Dänemark setzte sich unter anderem aus Soldaten des Freikorps Dänemark zusammen, das von der SS zusammen mit den anderen ausländischen Einheiten aufgelöst worden war. Darüber waren sie wütend, aber das war es nicht, was sie zum Trinken brachte. Es waren die Erinnerungen an die furchtbaren Kämpfe in Rußland, an einem Ort, den sie Demjansk-Kessel nannten. Und es waren die Erinnerungen an den Heimaturlaub in Dänemark, wo die Dänen sie nicht als Helden empfangen, sondern sie bespuckt und Verräter genannt hatten. Meine Mutter war zwanzig und arbeitete als Sekretärin im örtlichen Rathaus. Kroatien war ein freies Land, aber vielleicht faschistisch. Sagte man jedenfalls nach dem Krieg. Kroatien war nicht besetzt, sondern arbeitete mit Deutschland zusammen, um souverän zu bleiben. Ustascha nannten wir unsere Soldaten. Sie kämpften gegen Titos Partisanen, die überall waren. Eigentlich sollte das Regiment Dänemark nur ein paar Monate mit den andern aus der Division Nordland in
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