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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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hatte etwas Altmodisches. Am Grenzübergang zur Slowakei hatte sich eine Schlange gebildet, und der Delegationsleiter nervte mich noch mehr, als er sich an Lena wandte und kokett ausrief:
    »Na, Lena? Jetzt verlassen wir den Schutz der NATO. Hoffentlich bist du nicht nervös!«
    »Und wer ist jetzt kindisch?« sagte ich zu Lasse.
    Das konnte nur schiefgehen. Am Abend des folgenden Tages, nach stinklangweiligen Vorträgen, trank ich zum Essen zuviel Wein und hinterher zu viele Drinks. Zu allem Überfluß fingen die Zähne an, weh zu tun, oder das Zahnfleisch, wie der Zahnarzt behauptete; passen Sie auf, daß es nicht verfault, hatte der herzlose Raffzahn gemeint. Betrunken, wie ich war, hatte ich angefangen, mit Delegationsleiter Klaus zu streiten. Ich verteidigte den Standpunkt, es wäre besser gewesen, wenn Gorbatschow den Sozialismus stufenweise hätte reformieren dürfen, besser als dieser plötzliche Kollaps. Eigentlich ist das gar nicht meine Überzeugung. Es war gut, daß der verrottete Sowjetkommunismus zusammengebrochen war, er war eh nur ein bösartiges, lächerliches Kartenhaus gewesen, aber ich wußte eben, was ihn auf die Palme brachte. Wir brüllten uns an wie bescheuerte Halbstarke, die vernünftigeren der Delegationsteilnehmer gingen ins Bett, und am Schluß stapfte Klaus wütend davon, und ich blieb als letzter hocken, genauso idiotisch, wie ich mich aufgeführt hatte.
    Als es lange nach Mitternacht an die Tür klopfte, lag ich, von Selbstmitleid und Zahnschmerz gepeinigt, auf meinem Bett und hatte einen in der Krone, was sich langsam in einen Kater verwandelte. Ich stand auf und guckte durch den Spion. Draußen stand die Frau. Ich überlegte erst, sie draußen stehen zu lassen, machte dann aber doch auf. Sie schaute mich an. Ich schaute zurück. Einen Augenblick lang dachte ich, ich sähe Gespenster. Sie ähnelte meiner großen Schwester, sie hatte die gleichen Ohren und die gleiche Nase und die gleichen tiefgrünen Augen. Die gleichen Gesichtszüge, die man auf den wenigen Bildern sehen kann, die unser Vater aufgenommen hat.
    »Yes«, sagte ich irritiert.
    Sie lächelte schwach, als wäre sie verlegen, streckte die Hand aus und sagte in einem langsamen, nicht gerade akzentfreien, aber verständlichen Dänisch:
    »Guten Abend, Teddy. Mein Name ist Maria Bojić. Ich habe mir ein Herz gefaßt. Eigentlich darf ich es nicht, aber ich wollte so gern meinen Bruder kennenlernen.«

2
     
    I ch begriff zuerst nicht, was sie da sagte. Ich war immer noch ein bißchen benebelt. In der Regel sind es Nutten, die nachts an die Zimmertüren mitteleuropäischer Hotels klopfen, aber danach sah sie nicht aus. Sie erinnerte mich verblüffend an meine große Schwester Irma. War vielleicht ein paar Jahre jünger. Besonders ihr Mund und diese starken grünen Augen konnten die Studenten auf ihren Sitzen festnageln. Ich trat zur Seite und ließ sie ein. Es war weit nach Mitternacht, aber sie sah frisch und beinah jugendlich aus. Sie hatte einen reinen Teint mit normalen Altersfalten, nicht auffällig, nicht unsichtbar. Genauso wie es sein soll. Man muß einem Menschen ansehen können, daß er gelebt hat. Sie hatte halblanges schwarzes Haar, mit kleinen Löckchen und weichen Wellen. Ob sie es wohl färbte? Sie trug einen hübschen Rock, eine Bluse und eine kleine Perlenhalskette. In der Hand hielt sie eine schöne große Aktentasche aus feinem Kalbsleder. Sie sah beinahe wie eine erfolgreiche, moderne Geschäftsfrau aus, wie man sie auf dem Frühflug nach Århus sieht, aber auch nur beinahe. In ihrem Blick nämlich lag eine Leere, eine Kälte oder ein Schmerz, mit dem man nicht unmittelbar zurechtkam. Wie ein Butler führte ich sie in das große Hotelzimmer. Das Bett war zerwühlt, immerhin konnte ich ihr einen Sessel anbieten, nachdem ich ihn von ein paar Zeitungen befreit hatte.
    Sie schüttelte den Kopf. Wir standen uns gegenüber. Und fühlten uns beide unwohl.
    »Was zum Teufel soll das eigentlich bedeuten?« fragte ich mit Zorn in der Stimme.
    Sie sah mich an.
    »Können wir nicht russisch oder englisch sprechen?« fragte sie auf russisch. Sie sprach es fließend und fast ohne Akzent, soweit ich hörte. Mein Russisch ist ganz gut, auch wenn ich es besser lese als spreche.
    »Von mir aus gerne«, sagte ich auf englisch.
    Auch damit kam sie problemlos zurecht.
    »Wer sind Sie?«
    »Darf ich mich setzen?«
    Ich zeigte auf einen der Sessel, sie setzte sich auf die Kante, die Aktentasche auf dem Schoß. Sie glich einer Frau

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