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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Kroatien Zusammensein, um ausgebildet zu werden, aber sie wurden sofort in den Krieg gegen Titos Partisanen hineingezogen. Es war ein furchtbarer Krieg. Beide Seiten waren gnadenlos. An jedem Laternenmast hing ein Partisan. Ein deutscher Soldat, der gefangengenommen worden war, wurde getötet und kastriert. Den Nerven meines Vaters ging es nicht besser. Es gab nur eins, was die Soldaten auf den Beinen hielt: In Kroatien gab es keinen Mangel an Essen. Was das betrifft, sind wir von Gott gesegnet. Sie liebten das Gemüse und das Obst. Und sie liebten es, sonnabends auf dem Marktplatz von Sisak zu tanzen. Trotz des Krieges war das ein paar Mal möglich. In der Sommerhitze tanzten die Soldaten mit den Mädchen aus dem Ort, und so trafen sich mein Vater und meine Mutter. Im sanften Abenddunkel Kroatiens mitten im Krieg beim Tanz. Manchmal vergißt man, daß man sich am intensivsten amüsiert, wenn der Krieg am brutalsten ist. Wann waren Sarajewos Frauen am schönsten? Wann saß ihr Make-up am perfektesten? Wann waren ihre Kleider am elegantesten? Während der schwersten Bombardements. Die Fähigkeit des Menschen zu überleben verblüfft mich stets aufs neue. Insofern ist es eigentlich eine banale Geschichte. Sie verliebten sich in einer Zeit, in der Tod und Vergewaltigung so sicher waren wie der Sonnenaufgang im Osten. Ihr Leben lang konnten sie uns Kindern erzählen, wie glücklich verliebt sie waren trotz des Geräuschs der nächtlichen Schüsse. Trotz des unbeschreiblichen Grauens, das sie erlebten, und des Bluts, das an den Händen meines Vaters kleben mußte. Ich habe ein Bild von ihnen. Sie sehen glücklich aus. Mein Vater war ein stattlicher Mann. Meine Mutter eine schöne junge Frau. Im November wurde das Regiment Dänemark an die russische Front verlegt. Ich war die kleine wachsende Frucht ihrer Liebe.«
    Ich verhielt mich abwartend. Ich hatte mehrere Fragen, aber die Geschichte faszinierte mich, obwohl es im Grunde eine ganz banale Kriegsgeschichte war. Wahrscheinlich konnten Tausende das gleiche erzählen. Es war so viele Jahre her, daß es mich persönlich kaum berührte. Sie bat um eine zweite Zigarette, nahm einen Schluck Wein und fuhr auf ihre leise Art fort. Sie hatte die Angewohnheit, an ihrem rechten Ohrläppchen zu ziehen. Zumeist bei Passagen, die sie zu erschüttern schienen, aber sonst machte sie den Eindruck, als hätte sie die Gefühle und die Mittel, die sie gebrauchen wollte, unter Kontrolle.
    »Der Ausgang des Krieges stand ja fest. Deutschland verlor. Tito gewann, und Kroatien wurde dem sozialistischen Jugoslawien einverleibt. Der Kroate Tito verriet sein eigenes Land, sagten manche. Aber vielleicht war es trotzdem das beste. Einige Jahre lang wenigstens. Aber es war nicht lustig, auf seiten der Verlierer zu stehen. Meine Mutter war ja nicht direkt ein Teil der Ustascha, aber trotzdem. Sie war Sekretärin gewesen und war mit einem Soldaten der Waffen-SS gegangen. Sie internierten sie eine Weile, aber obwohl die Brutalität auf dem Balkan zum Alltag gehört, wurde sie nicht mißhandelt. Vielleicht ließen sie sich davon erweichen, daß sie ihr kleines Kind stillte. Mich. Was weiß ich? Vielleicht hat sie mir auch nie die Wahrheit erzählt. Von meinem Vater hörte sie nichts. Er hatte ihr mehrere Briefe von der Ostfront geschickt. Liebe Briefe, aber auch Briefe, aus denen nicht einmal die Zensur die Hoffnungslosigkeit und die Gewißheit des verlorenen Krieges tilgen konnte. Meine Mutter ließ sich beschützen, wie man sagte, von einem der neuen sozialistischen Beamten, die nun einrückten. Sie kriegte einen neuen Job. Er kriegte ihren Körper. Das war ein paar Jahre lang ein guter Handel. Ich kann mich nicht an ihn erinnern. Vielleicht fiel er einer Säuberung zum Opfer, während meine Mutter davonkam. Oder vergessen wurde. Der neue Job ähnelte dem alten, aber es herrschten neue Leute. Ich kann mich nicht daran erinnern. Ich war noch zu klein, aber ab 1949, als Tito mit Moskau brach, konnte man genausogut Sozialist sein wie Nationalist. Kroaten, Serben und Bosnier mußten gegen Stalins Invasionspläne zusammenstehen. Auf dem Balkan vergißt man die Vergangenheit nie. Die Geschichte lebt in jedem einzelnen Menschen. Aber es gibt Phasen, wo man sie gut verdrängen kann. Dann meint man, sie sei bedeutungslos, aber das ist sie nie. 1953, als Stalin starb, tauchte mein Vater auf. Eines Tages stand er plötzlich in der Tür. Wir wohnten am Rande von Zagreb, unten am Wasser. Es war ein klarer, sonniger

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