Die Habenichtse: Roman (German Edition)
Kinderkörper, abgeschnitten oberhalb des Mundes, die kleinen Brüste, der leicht hervorstehende Bauch und die kräftigen Mädchenbeine. Alexa hatte sie so oft fotografiert, daß sie, obwohl sie es obszön fand, die rote Frottee-Unterhose schließlich herunterzog, bis unter ihre Scham, die nur von einem weichen, unsichtbaren Flaum bedeckt war.
Zwei Jungs, etwa zehn Jahre alt, kamen auf sie zu. –Habt ihr Zigaretten? Der kleinere spielte mit einem Golfball, Alexa ging weiter, zog Isabelle mit sich. –Nein, rief Isabelle über die Schulter, keine Zigaretten. Im letzten Moment konnte sie dem Ball ausweichen. –He, ihr Arschlöcher! Wie eine Furie stürzte Alexa los, aber die Fototasche behinderte sie, die beiden rannten davon. –Was ist denn mit dir los, willst du ihnen noch Feuer anbieten? schnauzte sie Isabelle an, die verlegen lächelte. –Nichts, sagte Isabelle. Ich glaube, es geht mir gut. Sie suchte den Golfball, hob ihn auf. Schau doch, da ist ein Herz draufgemalt.
Sie hätte Jakob die Fotos gerne gezeigt und traute sich nicht. Mit Alexa konnte sie darüber nicht sprechen, für Alexa waren es Fotos, wie sie viele geschossen hatte. Alles war klar und unkompliziert und doch so, als wären Drähte gespannt, über die man stolpern könnte, in ein anderes Leben hinein, ein Leben, in dem Isabelle mit Alexa, nicht mit Jakob schlief. Sie war nicht verliebt in Alexa, nicht mehr. Die Fotos aber bewahrte Isabelle in einem Karton unter ihrem Bett auf wie einen Talisman.
–Und Andras? Alexa nestelte an dem Verschluß der Fototasche.
–Plakate für eine russische Tanztruppe, ein neues Literaturcafe´, ein Kaffeeladen irgendwo in Zehlendorf. Peter hat einen Auftrag von StattAuto, und eine Kanzlei hat Visitenkarten und Briefpapier bestellt.
–Du hörst aber nicht etwa auf zu arbeiten, wenn du verheiratet bist?
Sie hatte es Alexa beim Essen sagen wollen, wenn sie beim Essen säßen im Zagato und zum hundertsten Mal den Zettel lasen Füße runter von der Heizung, zaki-zaki! , an einem Ort, der zu ihrer Geschichte gehörte wie die Bergmannstraße, Penne all’Arabiata, Penne Paradiso, sie mußten nicht eigens bestellen, Vater und Sohn hinter der Theke, Fotos von Fahrradrennen und Autorennen an der Wand. Isabelle hatte es sagen wollen, wie man eine Neuigkeit verkündet, auch wenn es ihr selbst nicht wie eine Neuigkeit vorkam, sondern wie eine dieser Tatsachen, die Jahre darauf warten, zum Vorschein zu kommen, und dann selbstverständlich sind wie die Luft. So, wie sie eines Tages gewußt hatte, daß ihr Studium eine Farce war und daß sie ihre Eltern nur noch an Weihnachten besuchen würde. So wie sie eines Tages gesehen hatte, daß ihr Elternhaus eine Schuhschachtel war, eine graue und längst unmoderne Schuhschachtel, als Bühne für Dramen und Unglück lächerlich ungeeignet, und wenn sie sich ausmalte, wie ihre Mutter täglich am Klavier gesessen, stundenlang geübt hatte, dann schien es von vornherein zum Scheitern verurteilt, der Traum, Pianistin zu werden, ebenso wie ihre Krankheit, dieser angebliche Tumor, der nichts als ein kleiner, trauriger Klecks in einem tristen Kasten war, der ihre Eltern mit Stolz erfüllte. Ich mag Jakobs Gesicht, daß sie ihn mochte, hatte Isabell sagen wollen, aber Alexa war offensichtlich so beschäftigt gewesen mit dem Saxophonisten und mit Clara, daß Isabelle als erstes mit der Nachricht ihrer Hochzeit herausplatzte, die Alexa nicht allzusehr interessierte.
–Worüber brütest du? fragte Alexa und stieß Isabelle sachte in die Seite. Laß uns ins Zagato gehen. Sie blieb stehen, hielt Isabelle fest und küßte sie leicht auf den Mund, und Isabelle lächelte. Sie mochte Jakob, sie würde mit ihm glücklich sein, und Alexa fand ihn nett. –Wo sind deine neuen Schuhe? fragte Alexa grinsend und zeigte auf Isabelles alte Turnschuhe.
–Ich huste immer noch, sagte Jakob eine Woche später bekümmert, du wirst schlecht schlafen.
–Das macht nichts, sagte Isabelle, ich schlafe morgen mittag, ich kann mittags nach Hause gehen und eine Stunde schlafen.
–Wenn wir zusammenziehen, müssen wir Möbel kaufen, sagte Jakob.
–Schlimmstenfalls fahren wir rasch zu Ikea, und nach einer Stunde sind wir so verzweifelt, daß wir entweder auf Möbel verzichten oder in fünf Minuten alles beisammen haben.
–Von meinen Großeltern gibt es ein paar Sachen, wenn es dich nicht stört, in den Möbeln meiner Großeltern zu leben.
–Ich wünsche mir einen großen Zeichentisch, ein helles Zimmer
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