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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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das ihm durch den Kopf ging, er warf einen Satz wie eine Angel aus, sicher, daß Jakob anbeißen würde. Benthams Anwesenheit im selben Stockwerk störte ihn nicht, unbekümmert, wie er war, gab er sich auch keine Mühe, leise zu sprechen. Er war, empfand Jakob, arglos und dabei auf sanfte Weise boshaft, als wollte er seine eigene Liebe zu Bentham ausschöpfen. Ein Vogel, sagte er über Bentham, dem die Federn ausfielen, die Flügel lahm wurden, trotz unbeirrter Eitelkeit, die ja schwerlich zu übersehen sei, und manchmal gehöre zur Eitelkeit eben die Schärfe des Verstandes, sogar des juristischen Verstandes, merkte Alistair schon im Hinausgehen an. Wie sehr, sagte er, Bentham es genieße zu verwirren, einen jungen Mann zu verwirren, fügte er bei anderer Gelegenheit an. Allerdings halte Bentham Verwirrung für etwas durchaus Wünschenswertes, generell gesprochen, nicht nur bei jungen Männern, denn wie solle man bei allzu großer Gewißheit über das Verhältnis von Juristerei und Historie nachdenken, darüber, wie juristische Entscheidungen Dinge gleichsam umkehren wollten, welch trickreiche Art von Fortsetzung Reparationen etwa bedeuteten. Reparationsforderungen insgesamt, sagte Alistair einmal, seien etwas Merkwürdiges, ob er, Jakob, sich vorstellen könne, wie solch ein Thema vom eigenen Alter beeinflußt werde? Verlustrechnungen und deren Begleichung, so müsse Jakob sich das vorstellen. Die Schönheit eines Geliebten und dessen Tod, und wie man noch einmal dagegen räsoniere, klug genug, nicht kämpfen zu wollen, wo es aussichtslos sei. Worauf sich letzteres bezog, begriff Jakob zunächst nicht, ahnte nur, daß es in Zusammenhang stand mit Maudes Fürsorge Bentham gegenüber, die gleichmäßig und jahrelang eingespielt wirkte.
    Den knirschenden, an seinen Seilen ächzenden Aufzug benutzte Jakob nie, er stieg die Treppen hinauf und hinunter, die Hand fest um das dick überstrichene Geländer geschlossen. Im Halblicht, das durch die Fenster drang oder aus den Lampen sickerte, leuchtete der abgetretene Teppich, man spürte aber, wie fadenscheinig er war. Es waren Benthams Kanzleiräume seit bald vierzig Jahren, erfuhr Jakob durch seinen hintersinnigen Informanten Alistair, und natürlich sei die Adresse für einen damals noch jungen Anwalt alles andere als selbstverständlich gewesen, zumal für einen Immigranten. Es habe sich um ein Geschenk gehandelt. Hier war Maude, die dazukam, eine sehr viel unbefangenere Erzählerin, 1967, korrigierte sie, hätte Mister Bentham, damals zweiunddreißig Jahre alt und ein junger, schöner Mann, die Räume von einem Gönner – Alistair kicherte – zur Verfügung gestellt bekommen, bald allerdings selber erwerben können, da die Kanzlei nach kurzer Zeit zu den feinsten der Stadt gezählt habe, mehr als ungewöhnlich, denn Bentham sei alleine in London angekommen, mit einem Pappschild um den Hals, mit nichts, zur Adoption freigegeben; schließlich seien seine Eltern nachgefolgt und so der Ermordung entgangen, ohne aber je Fuß zu fassen, zumal ihr zweiter Sohn bald nach ihrer Ankunft starb. –Was für ein Schicksal! fügte sie, noch im nachhinein ängstlich um das Kind besorgt, hinzu. Aber Schicksal, dachte Jakob, war eben das falsche Wort. Auch er hatte, wenn er von diesen Geschichten hörte, an Schicksal gedacht, an verhängte Grausamkeit, an Unausweichliches. Die Wiedervereinigung war ihm als Chance erschienen, einen winzigen Teil des Unrechts dem Gesetz doch noch zu unterwerfen. Aber erst jetzt begann er, die Nazizeit als menschengemacht zu begreifen, als Politik, Handlung, Willen.
    Daß Benthams Kindheit nicht der Grund für Maudes umständliche Fürsorge war, mit der sie ihn verabschiedete, wenn er abends aufbrach, nicht immer ganz sicher auf den Beinen, mit einer Geste, als wollte sie alle guten, liebenswürdigen Geister zu seinem Schutz anrufen, begriff Jakob, als er Bentham eines Abends unweit des Coliseums erspähte. Sein Herz setzte vor Freude einen Schlag aus, im nächsten Augenblick krampfte es sich aber zusammen, denn Bentham wartete, offenkundig vergeblich, auf jemandes Ankunft, einsam in seiner Eleganz und vollkommenen Haltung. Die Passanten betrachteten ihn verwundert, drängten sich an ihm vorbei, und Jakob war froh, außer Hörweite keine despektierlichen Bemerkungen aufschnappen zu können, denen der Mann in seinem weißen Anzug, mit einer schwarzen Fliege und hellen, makellosen Schuhen ausgesetzt schien. Er war sicher, nicht von ihm entdeckt zu werden,

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