Die Habenichtse: Roman (German Edition)
denn es war augenfällig, daß Bentham nur sehen würde, auf wen er wartete, und Jakob ging weiter, einer Verabredung mit Isabelle entgegen, flüchtete sich zu ihr und merkte, daß er gekränkt war. Es gab jemanden, der in Benthams Leben die entscheidende Rolle spielte.
Als Alistair tags darauf in seiner Zimmertür auftauchte, fühlte Jakob sich wie ein Mäuschen, herausgelockt von dem katzenverspielten Hintersinn der Einfälle Alistairs, von seinem geschmeidigen Körper, den niemals leeren Händen, die ihn in ihrer unbekümmerten Beweglichkeit zu verspotten schienen. –Bentham geht heute sicherlich früh, und ich habe mit Isabelle ausgemacht, daß wir uns Sunset Boulevard anschauen, im National Film Theatre. –Aber warum soll Bentham heute früh nach Hause gehen? fragte Jakob, ärgerlich, sich diese Blöße zu geben. –Heute wäre der Geburtstag seines Lebensgefährten, antwortete Alistair, nun komm schon, ich hole dich in einer Stunde hier ab, Isabelle erwartet uns am NFT, wir fahren mit meiner Vespa, oder willst du lieber laufen? Jakob willigte in den Plan ein, bestand aber darauf zu laufen, und Alistair winkte ihm zu, verschwand. Auf der Dachrinne hockten nebeneinander geplustert Tauben, Jakob hörte sie gurren, trat ans Fenster. Ein Vorgänger oder Besucher hatte Zigarettenstummel in die kupferne Dachrinne geschnippt. –Rauchen Sie nur weit aus dem Fenster gelehnt, hatte ihm Maude gleich zu Anfang gesagt, und hier rauchte er, was er lange nicht mehr getan hatte, spähte hinunter auf die Straße, lauschte den Stimmen, den Autos, den Sirenen. Im Haus war es schon still, anscheinend war Bentham wirklich aufgebrochen, weder sein leises Husten noch das Telefon ließen sich hören. Als Jakob später den Fußgängersteg von Waterloo Bridge überquerte, neben den rhythmisch stampfenden Zügen, die nach ihrer Reise vom Kontinent an Geschwindigkeit und Kraft zu verlieren schienen, kam zielstrebig ein jüngerer Mann auf ihn zu, durchschnitt das Gedränge in seiner Aufmachung, ein glitzerndes, enges Jäckchen, darüber ein dicht gelockter, schöner Kopf, blieb vor Jakob stehen und lächelte ihn an, streckte sogar die Hand aus, berührte, als Jakob stumm verneinte, seine Schulter für einen winzigen Moment und ging weiter. Ein verwirrendes, hartnäckiges Bedauern blieb zurück, so daß Jakob die Szene Isabelle und Alistair schilderte, den hübschen, jungen Mann, der ihm anscheinend ein Angebot gemacht habe, oder wie solle er das verstehen? fragte Jakob, als Isabelle zum Tresen gegangen war, den lachenden Alistair, der tat, als hätte er derlei von vornherein gewußt. –Aber warum solltest du einem anderen Mann nicht gefallen? Jakob betrachtete Isabelle, die sich mit drei Gläsern und einer Flasche Wein näherte, sie lächelte Alistair an. Er hätte, dachte Jakob, eifersüchtig werden können und war es nicht. Als er fragte, ob sie ihn nach Berlin begleiten wollte, verneinte sie.
Nachdem sie Jakobs Vorgehen in Berlin besprochen hatten, erhob sich Bentham und bedeutete Jakob sitzen zu bleiben. –Lassen Sie sich jedenfalls Zeit. Übrigens bin ich nächste Woche für ein paar Tage ebenfalls nicht hier.
Er trug zu dem hellen Anzug diesmal eine weiße Fliege mit schwarzen Punkten.
–Ich treffe Miller morgen noch einmal, er hat noch weitere Briefe seines Großvaters gefunden.
–Es gräbt sich immer etwas aus, brummelte Bentham, sogar bei mir wird es irgendwann soweit sein. Wer weiß? Ich traf Miller gestern, er erzählte von dem Haus so begeistert, als garantierte es ihm das ewige Leben. Sicher, wir haben eine Vergangenheit, da steht uns die Zukunft ja zu.
–Es steht ihm doch wirklich zu, wehrte sich Jakob. Es war Diebstahl, ein nachlässig kaschierter Diebstahl, weil von Helldorf nichts zu befürchten hatte.
–Ja, Diebstahl, sicher. Aber will man das Gestohlene zurück? Früher war ich mir sicher, früher – er zeigte auf den Buddha auf seinem Schreibtisch –, als ich Mrs. Pinkus vertrat. Es war die Idee, man könnte etwas Einschneidendes tun, etwas, das die Wahrheit wiederherstellt, die Wahrheit, nicht weniger. Als könnte Deutschland uns Juden den Beweis liefern, daß es doch Wahrheit und Gerechtigkeit gäbe, für uns, für die ganze Welt. Wenn man daran nicht mehr glaubt – und wie absurd das jetzt scheint! –, argwöhnt man, ein kleines Maß Auserwähltheit steckte doch darin, das Leid erst, dann das Wiedererrichten der Gerechtigkeit, was ich natürlich sage, ohne boshaft zu sein. Vieles, was richtig
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