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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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an der Reling. Der Steg dünstete den Geruch von warmem Holz und Sommer aus, plusterige Wolken glitten vorbei, und wie bekümmert über einen Verlust, dachte Jakob an Bentham. Er erinnerte sich an Fontanes Stechlin , an die Bootsfahrt, den Ausflug zum Eierhäuschen, eine sich anbahnende Liebe. Rückerstattung war eine Farce, wo es letztlich nicht um Orte, sondern um verlorene Lebens- und Erinnerungszeit ging, um die Erinnerung, die einem vorenthalten oder genommen war. Er wünschte sich, ins Wasser zu springen, kopfüber und mit geschlossenen Augen, in eine andere Haut zu schlüpfen, klarer, frischer und so lebendig wieder aufzutauchen, wie er niemals gewesen war. Erstaunt fragte er sich, ob er je etwas verloren hatte – seine Mutter hatte er verloren, aber seiner Kindheit trauerte er trotzdem nicht nach. Sein Elternhaus bedeutete ihm wenig, die Erinnerung an seine Mutter viel, und beides zusammen ergab vielleicht eine Umrißlinie, die er nur ausfüllen mußte. Den Teil einer Umrißlinie, ergänzte er bei sich, denn Isabelle und Bentham gehörten auch dazu.
    Als er sich der U-Bahn-Station wieder näherte, nahm er sein Handy und wählte Andras’ Nummer, der ein wenig verwundert, aber erfreut klang, und sie verabredeten sich für den Abend.
    Als Andras, eine halbe Stunde verspätet, die so langsam verging, als paßte der ganze nachmittägliche Spaziergang hinein, durch die Tür des Cafe´s Lenzig trat, erschrak Jakob, denn Andras wirkte größer, kräftiger geworden, auch schien er mühelos zu wissen, worüber Jakob mit ihm sprechen wollte.
    –Hat Bentham nicht recht? sagte Andras. Du hast doch tatsächlich geglaubt, daß du eine Art Gerechtigkeit wiederherstellst. Dazu immerhin braucht man die Juden, während man die Jewish Claims Conference hier oft genug lieber im Orkus verschwinden sähe. Und die Vergangenheitsgespenster oder ihre Nachkommen, die allerdings Gespenstern ziemlich ähneln, spielen dem Staat den Beweis zu, daß in der Bundesrepublik alles bestens vonstatten gegangen und erledigt ist, daß sich nur die DDR mit ihrer lauten Unschuld vergangen hat. Die Politik spielt vergangenes Recht gegen das Recht der Vergangenheit aus, und das unter dem Decknamen Wahrheit.
    –Was meinst du? fragte Jakob.
    –Das Agieren der Bundesrepublik wird gerechtfertigt. Vielleicht wollen viele gar nicht, daß hier Juden leben, aber das ist der Preis, der zu bezahlen ist, um sich als Rechtsstaat behaupten zu können. Die anderen Folgen der Nazizeit läßt man doch hübsch in Ruhe, wärmt sie jetzt neu und anders auf, indem eben die Opfer der Deutschen, der Bombenkrieg, Schritt für Schritt in den Vordergrund marschieren. Verstehe mich nicht falsch, natürlich bin ich dafür, daß der gestohlene Besitz zurückerstattet wird, meinethalben als Besitz, nicht als Entschädigung. Aber trotzdem verstehe ich, wenn man es bizarr findet. Die Nachkommen der Vertriebenen und Ermordeten bewerben sich um die ausgestrichene Vergangenheit ihrer Vorfahren. Und gibt es ein deutsch-jüdisches Zusammenleben? Ich bin gar nicht sicher.
    –Du lebst doch hier, ist das kein deutsch-jüdisches Zusammenleben? Und Rückerstattung heißt ja nicht, daß man hier leben muß.
    –Nein, man muß hier nicht leben – dann ist das, wofür du arbeitest, allerdings doch eher Entschädigung, meinst du nicht auch? Mieteinnahmen und so weiter. Die lächerlichste Entschädigung für die Zerstörung dessen, was einer für sein Leben halten wollte. Und ich, ich lebe hier als Ungar, als Deutscher, wie du willst. Wer weiß schon, daß ich jüdisch bin? Peter weiß es nicht, Isabelle nicht. Keiner fragt, ich reibe es keinem unter die Nase. Warum sollte ich? Ich weiß selbst nicht genau, was es für mich bedeutet. Bin ich Jude? Ja, natürlich. Vor allem aber Exil-Ungar. Eine Exotik läßt die andere verschwinden. Daß es Israel gibt, läßt mich hier ruhiger leben.
    –Warst du jemals in Israel?
    –Mehrmals, es gibt bei Tel Aviv ein paar Verwandte, nicht so viele allerdings wie in Budapest. Andras lehnte sich zurück. Sie müssen ihre Geschichten gar nicht erzählen, es genügt, einen Tag mit ihnen zu verbringen. Ein bißchen ähnelt es einer ständigen Prozession, zu Läden und anderen Verwandten und Erledigungen, alles ein ständiges Aufrufen dessen, woran sich nur die Älteren noch erinnern. Für uns zerläuft das, meine Schwester und mein Schwager leben nicht anders als du und Isabelle, nehme ich an. Wenn ich dort bin, kramen meine Eltern aber noch einmal alles aus,

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