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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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ist, ist nicht sehr hellsichtig. Der Impuls, meine ich, war richtig. Schließlich sind unsere Familien umgebracht worden, und viele von denen, die man nicht umgebracht hat, überlebten nicht. Dann hatte ich diesen Prozeß, und der Richter war schon in den Arisierungsverfahren Richter gewesen, es war eine Farce.
    –Aber deswegen können wir doch nicht aufgeben.
    –Ich würde eher sagen, es wurde kaum angefangen.
    Jakob senkte verwirrt den Kopf. Bentham ging auf und ab. –Sie haben die Möbel Ihrer Großeltern hierherbringen lassen? Ich habe auch alte Möbel, zusammengekauft natürlich, als könnte ich mir so eine Vergangenheit schaffen, denn zu erben gab es ja nichts. Inzwischen würde ich sie wohl austauschen, aber ich bin zu träge, und sentimental bin ich auch. Es sind über dreißig Jahre, die sie bei mir stehen. Auch eine Art Wohnrecht. Sie haben ihren Platz in meinem Gedächtnis gewissermaßen gutwillig ersessen. Aber ich frage mich, jetzt, wo ich wirklich alt werde, was das alles bedeutet. Vergangenheit, Kästchen und Schächtelchen, Briefe, Fotos, was man sich wünscht, um weiter glauben zu können, daß man doch noch entwischt, dem Alter, dem Tod. Miller hat ebenso wie ich weder Kinder noch andere Verwandte. Und doch – wir sind nicht bereit, unsere Wahrheit aufzugeben, wir verteidigen unsere Rechtsauffassung, unser Leben gegen die Zumutungen, die alten, die neuen. Schließlich können wir das, Miller und ich, während so viele andere umgebracht worden sind. Und natürlich hat Deutschland eine Verpflichtung. –Das ist doch das mindeste? fragte Jakob. Bentham wandte sich ab, schob auf Jakobs Schreibtisch Unterlagen und Bücher von rechts nach links, griff nach einem Papier, schaute neugierig, was da geschrieben stand. –Ja, das ist das mindeste, stimmte er zu. –Es ist auch nett, er schaute Jakob an, daß Sie hier sind. Und Sie verstehen sich so gut mit Alistair. Am Ende hebt es wirklich die Stimmung, wenn man wenigstens ein winziges Rädchen wieder zurückdreht, nicht wahr?

    Jakob flog von London City Airport. Er schaute aufs Wasser und dachte an den Film, den er mit Alistair und Isabelle gesehen hatte, The Hours , er versuchte, sich das Gesicht Meryl Streeps vorzustellen, aber das Wasser schob sich davor, eine Art bildlose Zerstörung, und er dachte, daß er einmal ein Buch von Virginia Woolf lesen wollte. Lies Jacob’s Room , hatte Alistair vorgeschlagen. Die meisten Passagiere, die am Gate warteten, waren Touristen, vergnügte Reisende, die plauderten, prahlten, einer dem anderen berichteten, was sie offensichtlich gemeinsam erlebt hatten. Ein langer, magerer Mensch umarmte eine kleine und kugelige Frau, sie schloß die Augen, stumm vor Glück, und Jakob hörte, wie sie summte, glücklich ganz und gar, dachte er.
    Von Tegel fuhr Jakob gleich in die Mauerstraße, wo Schreiber ihn erwartete und doch keine Zeit hatte, alles war in Hast und Hetze, der Anwalt der gegnerischen Partei sagte ab, als Jakob schon in Treptow war, so strich er, von zwei Hunden im Vorgarten verbellt, um die Villa herum, bis ein Mann ihm etwas zurief, giftig und drohend, und die beiden Hunde am Halsband zum Gartentor führte, als wolle er sie auf Jakob hetzen.
    Er ging Richtung Park und weiter zum Sowjetischen Ehrenmal, ein Kindergarten war nicht weit davon, zwischen den noch hellgrünen Büschen sah er bunte Flecken, hörte ihre Stimmen, so hell und selbstsicher, als riefen sie glücklich: Hier bin ich! Die Vögel zwitscherten und tschilpten, staunend beobachtete Jakob die vielen Spatzen, sie scharrten im Staub, es war sehr trocken, Sommer beinahe. Als er die Spree erreichte, sah er die Bucht, überlegte, ein Boot zu mieten für eine Stunde, sah die Inselchen, Liebesinsel und Kratzbruch, dann lag rechts der verlassene Vergnügungspark, in dem Dinosaurier verfielen, große Schwäne, die nackten Arme irgendwelcher Karussells. Auf einer Bank hockte ein Penner, grinste ihn frech an, winkte einer entgegenkommenden jungen Frau mit verweintem Gesicht, die einen Kinderwagen schob, anzüglich zu. Nun führte der Weg, schmaler geworden, direkt am Fluß entlang, der Wald rechts nur ein Streifen, am gegenüberliegenden Ufer eine Fabrik, unhörbar für Jakob fuhren Lastwagen ihre Ladung davon. Ein kleiner Steg ragte ins Wasser, doch ließ keine Fähre sich blicken, nur ein Lastkahn fuhr vorbei, Wroclaw hieß das Schiff, einen Menschen sah man darauf nicht, aber eine Wäscheleine, buntbedruckte Schürzen flatterten, und ein Fahrrad lehnte

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