Die Habenichtse: Roman (German Edition)
erklären, doch schließlich mußte er auf sie gewartet, mußte ihr aufgelauert haben, und sie fragte etwas, das er nicht verstand, ob er gestern nacht hier gewesen sei, offensichtlich enttäuscht, als er sie losließ, einen Schritt zurücktrat und auflachte, da war er, in einem engen T-Shirt, unter dem sie seinen kräftigen Oberkörper sah, wie sich die Muskeln abzeichneten, und wieder drehte er sich bloß um, rief ihr über die Schulter etwas zu, – see you , ein Versprechen, eine Drohung, bevor er mit schnellen Schritten davonging. Field Street, las sie auf dem Straßenschild, verwirrt, ernüchtert. Irgendwo war ein Fehler. Rückwärts müßte man gehen, zurücklaufen, zurückspulen, was gewesen war bislang, um es zu löschen oder zu bestätigen. Aber hier gab es nur eine leere Straße, etwas, das hell und öde war, so daß sie loslief, langsam erst und dann schneller, zur Euston Road und weiter nach Westen, sie rannte jetzt auf die Warren Street zu, wo sie aufgehalten wurde von einer Menschentraube, von Zeitungsverkäufern, Gürtelverkäufern, Berufstätigen, Touristen, aus jemandes Hand fiel ein kleiner Strauß, die Blüten wurden zertreten, vier Schüler umschlossen Isabelle einen Moment, grinsten sie über verrutschte, zerknitterte Krägen an, ein Mann hievte einen Kontrabaß vor sich her, rammte damit Isabelle, der Tränen des Schmerzes, der Kränkung in die Augen schossen, und als sie ungeschickt aus dem Gewühl herausschlingerte, sah sie eine Blumenverkäuferin, die aus Eimern die letzten Sträuße packte, hinter ihr erschien eine jüngere Frau, griff nach den Eimern, leerte das Wasser mit einem Schwung auf die Straße, sie kam Isabelle seltsam bekannt vor, nur war sie dünn, fast mager, und als sie sich aufrichtete und zur Seite drehte, sah Isabelle ihr Gesicht, entstellt von einer Narbe, die von der Schläfe bis zum Kinn reichte, flammendrot, häßlich. Als wäre die Wunde nicht genug gewesen, war sie schlecht verheilt, und das Gesicht war gezeichnet, ein Inbild der Bösartigkeit, die Menschengesichter zerstörte. Aber vielleicht war es ein Unfall, dachte Isabelle. In ihrem Erschrecken achtete sie nicht darauf, daß die Ältere sie beobachtete, näher kam, das Gesicht zornig, verächtlich, und Isabelle mit einer Handbewegung wegscheuchte, ohne ein Wort zu sagen, wie man ein gaffendes Kind verjagt.
Schamrot lief sie weiter, an kleinen Lädchen vorbei, an einem Cafe´, vor dem eine grüne Bank stand, an der großen Blindenanstalt vorbei, und da war die letzte Querstraße, die sie von Jakob trennte, da die große schmiedeeisern vergitterte Tür.
25
Jakob balancierte den Stapel aus Ordnern, Notizen, Kopien vorsichtig zu Benthams Zimmer, stieß mit der Schulter die Tür auf, und da saß Bentham, hinter dem Schreibtisch, richtete sich auf, maßvoll neugierig, in den Händen hielt er eine kleine Figur. –Sehen Sie sich das an, nein, legen Sie erst die Unterlagen irgendwo ab, er winkte ins Zimmer, –Sie müssen ihn anfassen, hier. Streckte die Figur Jakob hin, der ratlos dastand, balancierend, unsicher. –Hinter Ihnen, auf der Truhe ist noch Platz, und Jakob drehte sich um, das oberste Blatt löste sich, glitt in einer Kurve zu Boden. Die Holzfigur, ein Buddha, war warm und glatt, ohne sich in die Hand zu schmiegen, –ja, sagte Bentham, er paßt sich der Hand nicht an, man kann die Körperhaltung nur mit den Fingern nachvollziehen, Stück für Stück, ihre Strenge erschließt sich erst allmählich. Er nahm von Jakob die Figur entgegen. –Ich habe ihn von einer Bekannten aus Israel erhalten, das einzige, was sie von ihrem Vater geerbt hat, er war Direktor des Ostasien-Museums in Köln gewesen, hatte eine große Privatsammlung, die er gestiftet hat. Zum Glück in zweiter Ehe mit einer arischen Frau verheiratet, deswegen hat er überlebt, das heißt, er ist 1943 an gebrochenem Herzen gestorben. Sie, die Tochter, war schon in Israel. Ich habe für sie einen Restitutionsprozeß geführt – und verloren.
Bentham stellte den Buddha wieder auf seinen Schreibtisch, schaute Jakob an, winkte, als wäre noch jemand im Zimmer, dann stand er auf, ging zur Kommode und beugte sich über die Unterlagen. –Graf Helldorf, sagte er, ach so.
–Er war der Polizeipräsident, anscheinend hat er gegen riesige Bestechungssummen ein paar wohlhabenden Familien die Ausreise ermöglicht, referierte Jakob. Ein Mittelsmann hat für ihn den Kaufvertrag für die Treptower Villa unterschrieben, deswegen bin ich erst jetzt auf seinen
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