Die Händlerin von Babylon
verletzt worden war. Sie waren dem Oberhirten des Gemeinwesens übergeben worden, und zwar mit dem strikten Befehl, sie keine Sekunde aus den Augen zu lassen. Ningal wollte keinesfalls, dass Chloe ihren Besitz und damit ihre Unabhängigkeit verlor.
Kalam zuckte mit den Achseln. »Das weiß ich nicht. Er behauptet, ein paar davon seien durchgebrannt.«
Schafe brannten nicht durch; sie wurden weggeführt. Ningal wandte den Blick ab. Er hatte versucht, die Zeichen nicht zu sehen, doch sie waren überdeutlich. Bitte, flehte er, gebt mir ein Omen, dass ich allzu misstrauisch bin. Seine Brust schmerzte unter dem grausamen Verrat.
»Vielleicht hat sie sich ja noch mal am Kopf verletzt, weißt du, und dabei die Wunde wieder geöffnet, die ihr die Hacke geschlagen hat.«
Ningal zuckte nicht einmal, doch sein Herz zersprang. Kalam konnte unmöglich wissen, dass Chloes Kopfwunde von einer Hacke geschlagen worden war, es sei denn, er hatte etwas mit der Sache zu tun. Diese Information hatte Ningal strikt für sich behalten. Ich wollte doch kein Zeichen, dass ich Recht habe, beschwerte sich Ningal bei der Gottheit. Ich wollte wissen, ob ich mich irre.
»Unglaublich, dass sie sich heimlich aus dem Staub gemacht hat«, fuhr Kalam fort. »Nachdem du dir solche Umstände gemacht hast, um sie in die Schule einzuschleusen, ist es wohl der Gipfel an schlechtem Benehmen, einfach so zu verschwinden. Ich dachte, sie wäre wirklich überzeugt von ihrer >Li-zenz<-Idee.« Er schüttelte den Kopf. »Letzten Endes können wir nur unsereiner vertrauen.«
Kalam steckte hinter der ganzen Sache; er wusste, wo Chloe sich aufhielt. Wie konnte der Mann, den Ningal wie einen Sohn liebte, ihn so betrügen? Ningal würde sich winden müssen wie die erste Schlange, um ihm sein Geheimnis zu entlocken. Wie konnte ich diesem Menschen gegenüber nur so blind sein, überlegte er. Wie konnte die Wurzel nur so tief faulen?
Kalam leerte seinen Wein in einem Zug. »Sollen wir zur Ratsversammlung gehen?«
»Wir treffen uns dort.«
»Mach dir keine Sorgen um sie«, sagte Kalam, wobei das Mitgefühl wie Honig aus seiner Stimme troff. »Sie kommt bestimmt zurecht. Schau lieber nach, ob sie nicht nur ihr Gold, sondern auch deines mitgenommen hat.«
Ningal blickte in das Gesicht des Mannes, der ihm eine Familie, der sein Schützling gewesen war. Kalam merkte nicht, dass er sich bereits verraten hatte; dafür blendete ihn sein Stolz zu sehr.
»Wir treffen uns später.« Ningal starrte wieder auf den Tisch. »Jetzt geh.«
Kalam schloss die Hoftür hinter sich. Ningal rief seine Sklavin. »Ist Kalam auch an dem Morgen ins Haus gekommen, als Chloe verschwunden ist?«
Sie nickte. »Genau wie immer. Vielleicht ein bisschen später. Er schien dauernd zu kommen und zu gehen.«
Ningal erhob sich mit einem Nicken. »Bring mir meinen besten Umhang«, befahl er. »Und den goldenen Korbhut.« Ningal musste zu einer Versammlung.
»Mandanten, Freie, Sklaven und Edelmänner«, begrüßte der Lugal die versammelten Ratsmitglieder. »Wir befinden uns in einer sehr ernsten Lage. Wie ihr wisst, hat der Rost unsere Nahrungsquelle versiegen lassen. Wir haben keine Reserven mehr. Die Sterne fallen vom Himmel, der Mond hat sich in Blut verwandelt, die Sterndeuter weissagen noch Schlimmeres. Die Zeichen verheißen nichts Gutes für die Zukunft.«
Tränen glänzten in seinen Augen, und Nimrod beobachtete die entsprechenden Reaktionen, als den Männern aufging, dass ihnen ein folgenschweres Urteil bevorstand.
»Wir haben den Missfallen der Götter erregt. Ob als Gemeinschaft oder als Einzelne, vermag ich nicht zu sagen. Doch eines weiß ich, nämlich dass die Fleisch gewordene Inana sich vor den Richtern des Himmels und bei Sin für uns verwenden wird.«
Damit rief er Geraschel und besorgte Mienen hervor, doch keiner sprach.
»In fünf Tagen wird sich Puabi mit ihrem Geliebten Sin in ewiger Ehe vereinigen -«
Gebrüll. Rufe. Proteste.
»- Sonne und Mond werden miteinander beraten, und nur weil Puabi für uns feilschen wird -«
Noch lauteres Geschrei. Der Lugal war praktisch nicht mehr zu verstehen.
»- werden wir sehen, ob Ur überleben wird.«
Er wartete ab, bis sich die Versammlung wieder beruhigt hatte. Nimrod beobachtete die rings um ihn sitzenden Männer von Rang und Namen, die schon beim bloßen Gedanken an den Himmel jede Beherrschung verloren.
»Ich erwarte von euch alle Kostbarkeiten, die eine Göttin auf ihrer Reise zum Himmel braucht. Alles, was wir erübrigen
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