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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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Handflächen an den Kanten der Lehmtafel zu schwitzen begannen. Was sollte er mit dieser Aussage anfangen? Er las den Satz; dann las er den folgenden Absatz. »Noch mal?«, fragte Cheftu den Alten. Wozu sollte das gut sein?
    Shama nickte, woraufhin Cheftu die ersten drei Worte las. Dann fuhr Shama mit der Hand vor Cheftus Gesicht vorbei, so dicht vor dessen Augen, dass er seine Nasenspitze berührte. Die Handfläche des Mannes roch nach Puabis Parfüm und nach Staub. Einen Moment hielt Shama in der Bewegung inne, und Cheftu wartete ab. Langsam entspannte er sich. Seine Stirn glättete sich, seine Hände lockerten den Griff um die Tafel, und schließlich starrte er durch die Hand des Alten hindurch.
    Als Shama die Hand wegnahm, brauchten Cheftus Augen ein paar Sekunden, um sich einzustellen - während dem er durch die Schrift auf der Tafel hindurchstarrte. Und das Muster sah. Die verborgene Botschaft, die durch Konzentration verdeckt, durch Entspannung und Ruhe aber enthüllt wurde. Sobald Cheftu blinzelte, verschwand sie.
    Er sah den Alten an, der nach der Tafel griff und sie auf das Bett legte. Danach spülte er eine zweite für Cheftu ab. Diesmal wusste Cheftu, was er zu tun hatte. Er richtete seinen Blick durch die Tafel hindurch und erkannte sofort das Muster: Linien, die sich zum Teil schnitten und zum Teil parallel verliefen.
    Aus einer inneren Eingebung heraus legte er die beiden Tafeln nebeneinander. An drei Stellen passten sie zusammen.
    Er wandte sich an den Alten. »Eine Landkarte?«
    Shama schüttelte den Kopf. Cheftu nahm noch ein paar Tafeln, spülte sie ab und legte sie neben die ersten beiden. »Ein Bauplan?«, fragte er, als er sieben davon zusammengefügt hatte.
    Der Alte nickte.
    Zwei Stunden lang spülten Cheftu und Shama die Tafeln sauber, um das Bild zusammenzusetzen. Als keine Tafel mehr übrig war, betrachtete Cheftu den riesigen steinernen Plan, der schließlich entstanden war. »Wo ist das?«
    Shama deutete nach unten.
    Er krümmte den Finger und Cheftu beugte sich zusammen mit ihm über die Tafeln. Shama wies auf die Zeichnung eines Strichmännchens in einer Kiste. Dann wanderte er mit den Fingern durch die verschiedenen Räume und schließlich durch einen schmalen Gang ins Freie. »Ersatz.« Seine Stimme war so abgewetzt und verstaubt wie die Tafeln.
    Cheftu schaute auf die Tafeln. Auf dem Kopf des Strichmännchens saß eine klobige Krone. »Das gab es schon früher«, stellte Cheftu fest.
    Shama nickte.
    »Das Ersatzopfer ... ist entkommen?«
    Shama nickte. Dann reichte er Cheftu einen Lehmkelch mit breitem Fuß.
    Ningal war außer sich vor Sorge. Chloe war wie vom Sandsturm verweht. Der Tafelvater behauptete, sie sei nicht in der Schule erschienen. Kalam, der Ningal von ihrem Verschwinden unterrichtet hatte, behauptete, sie sei zum Frühstück nicht nach unten gekommen. »Ich dachte, sie sei noch müde und deshalb im Bett geblieben.«
    Das Mädchen hatte förmlich darauf gebrannt, wieder in die Schule zu gehen. Ihre Wortliste hatte sie bereits gemeistert. Ningal hatte ihren Lehm gesehen - wenn sie sich Notizen machte, dann schrieb sie seitwärts. Bei den Hausaufgaben schrieb sie ordentlich. Trotzdem hatte sie befürchtet, das Gelernte wieder zu vergessen, wenn noch mehr Zeit verstrich. Kaum war sie aufgewacht, hatte sie wieder ihre Worte geübt und ihren Wortschatz über das bisher Beigebrachte hinaus erweitert. Sie hatte Nahrungsmittel und Möbelstücke, Handlungen und Absichten gelernt. Und alles sorgfältig notiert.
    Eine angenehme Routine hatte sich eingespielt. Gewöhnlich war sie schon unterwegs gewesen, wenn er erwachte, doch wenn sie abends aus der Schule gekommen war, hatte er sie mit einem kühlen Bier erwartet. Dann hatten sie erst über den Tag geplaudert, um anschließend zu speisen. Und während Ningal anschließend mit Kalam über der Liste der Listen saß oder die Termine für den morgigen Tag festlegte, hatte Chloe ihre Hausaufgaben erledigt.
    Infolgedessen waren zwei Tage vergangen, seit sie das letzte Mal gesehen worden war. Ningal hatte geglaubt, sie hätten einander einfach verpasst. Die Sklaven hatten geglaubt, sie hätte auswärts gegessen. Niemand hatte daran gedacht, sich irgendwo nach ihr zu erkundigen.
    »Sie hat dich verlassen«, verkündete Kalam. »Darum ist ihr Zimmer leer geräumt.«
    Das war der niederschmetternde Beweis: ein leeres Zimmer.
    »Und was ist mit ihren Schafen?« Jenen Schafen, die Ningal persönlich zusammengetrieben hatte, nachdem sie

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