Die Händlerin von Babylon
es ihr untersagt gewesen, ihn anzulegen.
»Was ist denn passiert?«, fragte sie, während sie durch den von Fackeln erhellten Gang eilte.
»Du musst den En für mich begleiten«, sagte er.
»Wohin denn?«
Asa reichte ihr ein Täfelchen. »Der Ort steht hier geschrieben. Bring ihn in der Morgendämmerung dorthin, verstanden?«
Sie neigte den Kopf. Selbst jetzt vertraute er ihr keine wichtigen Informationen an. Sie hörte seine Schritte auf der Treppe verhallen, dann hob sie die Tafel ins Licht und las die Anweisungen. Wieso sollte sie den En in die Marschen begleiten?
Irgendwo im Tempel probten die Sänger. Bald würde der Morgen anbrechen. Rudi rief sich ins Gedächtnis, wo sich die Gemächer des En befanden, und machte sich auf den Weg. Wie sollte sie ihn überreden, ihr zu folgen?
Guli stand auf, denn jemand öffnete die Tür. Zwei Wachen standen vor ihm. »Du bist der Friseur Guli?«, fragte ein junger Sterndeuter.
Er nickte.
»Komm mit.«
Er folgte ihnen und kletterte in den Schlitten. Doch statt den Weg zu den Hinrichtungsstätten beim Südwesttor einzuschlagen, fuhren sie durch das Tor in der Umfriedung der Tempelanlage und in den hinteren Teil des Palastbaus.
Priester, Hilfspriester, Wachen, Sterndeuter, Mandanten, Edelleute . alle huschten durch die Dunkelheit vor der Morgendämmerung, den Blick ängstlich zum Himmel gerichtet. Guli hatte in seiner Zelle in absoluter Dunkelheit gehockt -doch auch er merkte, wie er nach oben blickte. Der Tag wirkte wie jeder andere - er versprach sengende Hitze. Der Sterndeuter sagte kein Wort, doch seiner Haltung war anzumerken, dass er es als Beleidigung auffasste, auch nur neben Guli stehen zu müssen.
Weil er ihn, weil er sie alle, das gesamte System, das ihn verurteilte, satt hatte, schwieg Guli. Was zählte es schon, was sie taten und wo sie es taten? Er war ein toter Mann.
Es wollte ihm nur nicht in den Kopf, warum das Urteil nicht sofort vollstreckt worden war. Schließlich war die Justiz nie zögerlich gewesen.
Der Schlitten hielt an und der Sterndeuter stieg ab. »Dies sind deine Sachen, hat man mir gesagt?«, fragte er, wobei er auf Gulis Habseligkeiten deutete - die Reste aus seinem kleinen Laden, sowie einiges, was Guli sich nie hätte leisten können: ein Päckchen Goldstaub, eine Klinge mit Metallschneide, Röhrchen und Töpfe, die er noch nie gesehen hatte.
»Geh in diesen Raum dort und bereite die Dame auf eine große Reise vor«, befahl ihm der Sterndeuter. »Sie soll zur Göttin Inana werden.«
Guli trat auf den Mann zu, wobei die Wachen mit gesenkten Speeren auf ihn zutraten. Die Miene des Sterndeuters war kaum zu entziffern, doch irgendwie wirkte er verängstigt. Guli verneigte sich zögerlich und hob die Taschen mit Tönungen, Klingen und Lockenzangen auf, um dann rückwärts zur Tür zurückzuweichen.
»Mach sie auf«, kommandierte der Sterndeuter.
Guli hob den Riegel an und trat ins Dunkel. »Hallo?«, rief er. Der Duft von gebratenem Fleisch und feuchtem Vlies schlug ihm entgegen. Er blinzelte in die nachtschwarze Düsternis. »Grüße?«
Eine an der Wand lehnende Gestalt hob den Kopf. »Guli?«
»Ulu?«
Die Tür knallte zu.
En Kidu riss die Tür auf, noch ehe Rudi anklopfen konnte. Er war wach, rasiert, förmlich gekleidet, und sein Blick war ungetrübt. Zu ihrer Überraschung ging er augenblicklich auf ihre dringliche Bitte ein. Er schickte die Hilfspriester los, einen Karren und Wildesel für die Fahrt zu besorgen.
Noch in der dunkelsten Stunde vor dem Anbruch der Morgendämmerung fuhren sie durch die Stadttore hinaus. Kidu hielt die Zügel in der Hand und Rudi klammerte sich an der Verkleidung des Karrens fest, während sie in halsbrecherischem Tempo über die Straße jagten. Schlitten waren viel ruhiger, allerdings auch langsamer.
»Hier«, sagte sie nach einer Weile.
Mitten in einem Palmenhain hatte ein Unbekannter einen Palast erbaut.
Asa selbst öffnete ihnen die Tür. »Ich habe unseren Ersatz«, sagte er zum En. »Sie erwartet dich.«
Kidu sah ihn verdutzt an. »Einen zweiten Ersatz?«, fragte er, während sie zu einem Schuppen hinter dem Gebäude eilten.
Asa wirkte leicht verlegen. »Sie ist diejenige, deren Opfer die Götter wirklich fordern.«
»Und sie geht freiwillig?«
Asa wandte sich an Rudi. »Welche Nacht war das, als du den Blutmond übersehen hattest und daraufhin vom Dienst entbunden wurdest?«
»Die Nacht, in der die Überschwemmung kam.« »Und die Himmel warnten uns davor, dass aus dem Norden
Weitere Kostenlose Bücher