Die Händlerin von Babylon
die Umarmung freudlos über sich ergehen ließ. Dann befreite sich Kidu aus der Umklammerung. »Das Gemeinwesen ist mobil gemacht«, sagte er.
Puabi ließ sich in die Kissen zurücksinken und räkelte sich. »Gut.«
»Was nimmst du mit?«
»Wohin mit?«
»Auf deine Reise zu den Himmeln.«
Sie lachte. »Ich habe doch einen Ersa -«
»Schweig still!«
Sie winkte zu Shama hin. »Er ist doch nur ein tauber, stummer Greis. Außerdem weiß er Bescheid.«
Shama konzentrierte sich darauf, ihre Sandalen zu wienern, doch seine Ohren glühten vor Scham. Früher hatte Puabi ihn geliebt, ihn beschützt, ihm vertraut.
»Du solltest dich schämen«, tadelte Kidu und sah sich dann im Raum um. »Solltest du nicht packen?«
»Das habe ich bereits getan.«
Der En sah sich noch einmal um; überall lagen halb gefüllte
Körbe und Taschen, denn Puabi hatte mal hier, mal dort etwas eingepackt, ohne irgendetwas zu Ende zu bringen. »Nicht für deine Reise nach Dilmun, sondern für das Grab.«
»Das Grab?«
»Wir müssen deine Habseligkeiten begraben«, erklärte er ihr.
»Meine Kleider?« Das schien sie mehr zu erschrecken als alles andere. Shama schämte sich für sie.
»Lass mich etwas klarstellen, weil ich glaube, dass du das nicht richtig verstanden hast«, sagte der En. »Du kommst mit dem Leben davon, aber das wird dich dein gesamtes Geschmeide und Gold kosten.«
Shama sah auf. Man konnte fast meinen, der En sei mit Licht übergossen; in diesem Moment begriff Shama, dass Kidu von einem fremden Geist besessen war. Einem, den der Gott der Götter gesandt hatte. Er widmete sich erneut der Aufgabe, Puabis Sandalen einzupacken.
»Was? Wieso?« Plötzlich saß Puabi stocksteif auf ihrer Liege.
»Du willst dein Volk nasführen und den Göttern zu Willen sein? Dann wirst du dafür Sorge tragen müssen, dass alles so wirklichkeitsgetreu abläuft wie nur möglich.«
»Ist mir doch egal«, murrte sie.
»Es wird dir nicht mehr egal sein, wenn der Himmel sich schwarz färbt, der Mond gegen die Sonne kämpft und die Mandanten und Edelmänner, die deiner Ansicht nach so leicht hinters Licht zu führen sind, sich wie wilde Hunde auf dich stürzen werden, weil du allein dafür verantwortlich bist und die Götter ausschließlich mit dir unzufrieden sind.«
Shamas Blick streifte das Antlitz der Ensi. Sie war bleich geworden.
»Sie würden ... mir wehtun?«
»Hast du schon mal einen wilden Hund um sein Leben kämpfen sehen?«, fragte Kidu. »Erst zerfetzt er dem gegnerischen Hund die Sehnen in den Beinen, damit der nicht mehr fortlaufen kann. Dann geht er auf die Kehle los, um ihm eine tödliche
Wunde zuzufügen, sodass der andere vollkommen wehrlos wird. Und schließlich reißt er ihm die empfindlichsten Stellen auf, den Bauch, den Unterleib -«
Puabi hatte die Knie angezogen und starrte ihn mit riesigen Augen an.
»Die Hunde lecken das Blut auf und verschlingen die Innereien der armen Kreatur, noch bevor sie die Augen zum letzten Mal schließt. Sie -«
»Schluss!«, gellte sie, die Hände auf die Ohren gepresst. »Nimm alles, meine Juwelen, meine Gewänder, einfach alles. Aber versprich mir, dass ich dann nicht mehr hier bin. Diese Frau, wie hieß sie noch -«
»Ulu.«
»Genau, sie soll hier wohnen, und ich mache mich auf die Reise nach . Dilmun.«
»Du wirst nicht ins Paradies auf Erden reisen, während wir unter deiner Feigheit leiden müssen. Du wirst hier bei uns bleiben, und zwar bis zum letzten Gang in die Grube.«
Shama konnte nur staunen, wie sehr sich der Mann verändert hatte. Ohne dass es einem von uns wirklich aufgefallen wäre, dachte er. Ob die Menschen nur das sehen, was sie zu sehen erwarten?
»Wir werden dich erst im letzten Moment austauschen«, sagte der En zu Puabi. »Wissen deine Zofen Bescheid? Wissen sie, dass sie sterben werden?«
»Noch nicht. Sie werden als Allerletzte informiert, erst nachdem die Übrigen beisammen sind.«
Er wandte sich schon zum Gehen, als sein Blick auf Shama fiel. »Geht er mit dir oder -«
»Ich habe es dir doch gesagt. Er soll mit meinem Ersatz gehen.«
Shama wäre ohne Zögern mit seiner Herrin in den Tod gegangen, so unausstehlich sie auch geworden war. Doch er weigerte sich, mit ihrer Ersatzperson zu sterben. Als er aufblickte, fiel ihm der durchscheinende Blick des En auf. Irgendwie wusste er, dass Kidu das wusste. Mit bebenden Händen stellte Shama das eine Paar Sandalen ab und griff zum nächsten. Kidu schloss die Tür.
»Kidu hat jeden Anstand verloren«,
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