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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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Raum und Zeit hindurch. Trotzdem kennst du mich, und zwar ziemlich gut.« Chloe wischte eine Träne weg, die sich in ihrem Augenwinkel festgesetzt hatte. »Danke, Gott. Das meine ich ernst. Es tut mir Leid, dass ich oft so ungestüm bin. Ich werde mich bessern. Versprechen kann ich nichts, weil du mich am besten kennst, aber ich werde mich bessern.«
    Ihre Beine begannen schon zu kribbeln, darum schloss sie mit einem schnellen Amen, ließ sich wieder in einer bequemeren Position nieder, überlegte einen Moment und öffnete dann ihr Essenspaket. Jetzt konnte sie mit Genuss essen.
    »Trink«, sagte Lugal Shem.
    Guli schaute auf seine Schale und setzte sie dann an die Lippen. In einem Schluck war sie geleert, der bittere Geschmack überdeckt von Datteln und Honig, Kardamom und Zimt. Eine Laute spielte, doch niemand sprach ein Wort.
    Erst wurden seine Lippen taub, dann seine Finger. Seine Brust hob und senkte sich zunehmend schneller, je weiter das Gefühl der Gefühllosigkeit von den Füßen zum Unterleib, von den Armen zum Hals hinaufkrabbelte. Kein Name lag auf seinen Lippen, er trauerte um keine Liebe. Vielmehr bedauerte er jene, die sich hier von einem freudevollen Leben verabschieden mussten. In Kur würde es keinerlei Freuden geben.
    Geräusche filterten durch den Nebel, der sich in seinem Kopf breit machte. Sein Hals war inzwischen vollkommen steif -schmerzlos, aber unwiderruflich. In allen Ecken des Raumes flackerten Lampen, darum konnte Guli sehen, wie die eng nebeneinander gelegten Leiber die Kammer füllten. An den Wänden lehnten Särge, in der Mitte häuften sich Reichtümer, die seine wildesten Träume überstiegen.
    Er blinzelte; das Gefühl war ein bisschen so, wie im Bierrausch einzunicken. Ohne bewusste Verbindung zur Außenwelt. Irgendwie kam es ihm vor, als stiegen Dunstschwaden aus dem Erdreich auf, lange und halb durchsichtige Erscheinungen.
    Ein Zupfen an seinem Kopf - nicht körperlich, sondern an seinem Bewusstsein. Er ließ los, wurde durch eine winzige Öffnung gequetscht, dann ausgestoßen und schwebte ungehindert nach oben - ohne Gewicht. Frei.
    Aus allen Richtungen stürzten Wahrnehmungen auf ihn ein.
    Er konnte weder schmecken noch riechen oder sehen und bekam trotzdem alles mit. Jeden in der Grube hier; die Sorgen all jener, die oben im Freien warteten. Alles lag ihm klar vor Augen, ausgedeutet, unverschlüsselt, klar verständlich. Freude wallte in ihm auf. Wenn die anderen nur wüssten! Konnte er sich irgendwie verständlich machen? Nur einen winzigen Augenblick mit Ningal.
    Nein, durchdröhnte es ihn. Das steht dir nicht zu.
    Unten konnte er die Todeskammer sehen. Hüllen aus Wachs und Dreck, von ihren Bewohnern verlassen und in Kürze wieder mit dem Trost spendenden Erdboden verschmelzend. Das Gold würde bleiben, doch es zählte noch weniger als die Erde. Gulis Leib war vollkommen steif, doch seine Augen waren leer und friedlich.
    Wenn Guli das nur gewusst hätte, dachte Guli.
    Andere Nebel umschwirrten ihn mit ansteckender Freude.
    Lachend und fast berstend vor Glück durchstießen sie die gewölbte Ziegeldecke und stiegen auf in die Nacht. Erde und Wachs warteten aufrecht stehend im Hof, zu Hunderten, zu Tausenden, aufgereiht, beladen, kummervoll, unzulänglich und einzigartig.
    Tränen strömten aus Guli heraus. Als er noch Erde und Wachs gewesen war, hatte er nicht weinen können, doch jetzt, wo er nach unten sah, konnte er nicht an sich halten. Wie unglaublich, wie kompliziert, wie ahnungslos sie waren. Ihre Fürchte, ihre Ängste umhüllten sie wie ein Umschlag aus Lehm. Nichts anderes sind sie, dachte er. Lehmumschläge, beschrieben mit ihrem Inhalt, eine Schutzhülle für das wahre Dokument und kein zweites Mal zu verwenden, wenn sie erst einmal zerbrochen wurden.
    Erde und Wachs, gehüllt um Freude und Atem.
    Er konnte von einem Horizont zum anderen schauen, rund um die Weltkugel. Die Welt war rund wie ein Stück Obst und mit Millionen von Seelen erfüllt. Sie war ein Lagerhaus voller Lehmumschläge, die nicht ahnten, dass sie genau das waren, die nicht ahnten, dass sie, abgesehen von den unterschiedlichen Träumen, einander aufs Haar glichen. Sie lebten an Orten und auf Weisen, die Guli sich nicht hätte vorstellen können.
    Er stieg über die Ebene Shinars auf. Sie erstreckte sich weit über die sich windenden Zwillingsflüsse hinaus. Schon konnte er die Kanäle erkennen, die von den unachtsamen Wassern verlassen worden waren, und er begriff, dass der Euphrat nicht ewig

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