Die Händlerin von Babylon
unterhalb der Westmauer des Gemeinwesens von Ur verlaufen würde. Im südlichen Meer sprangen die Fische, und unter dem klaren Vollmond lagen leuchtend die Obstgärten Dilmuns.
Ziusudra, der seine Hülle nie würde ablegen können und der das für einen Segen hielt, sah nach oben. Er hatte dem Alter Einhalt gebieten können, doch viel zu spät, und war nun von den Jahren gebeugt und geschlagen mit Enttäuschungen.
An Bord eines Schiffes, das eine Tagesreise jenseits des Hafens von Ur auf dem Meer segelte, blickte Kalam sich ängstlich um. Weiß krallten sich seine Finger um den hölzernen Bug, und seine weit aufgerissenen Augen spähten furchtsam durch die Nacht, Ausschau haltend nach den nahenden Soldaten des Lugal oder den Priestern aus dem Tempel, die verlangen könnten, dass er seinen Platz in der Gruft einnehme.
Danke, sagte ihm Guli. Du hast mich gesegnet, ohne es zu wissen, ohne es zu wollen. Aber deshalb ist deine Tat nicht weniger ein Segen.
Bibbernd zog Kalam seinen Umhang fester um sich. Sein Blick wanderte hoch in den Himmel, doch Guli hatte sich schon von einer Brise davonwehen lassen. Überlass die Hüllen ihrem Los.
Die Freude tanzte in ihm wie eine Flasche auf den Wellen, um irgendwann an den fernen Gestaden einer neuen, höheren Welt zu landen. Nur das Gesicht, das ihm am teuersten war, würde er dort nicht sehen, das wusste er. Voller Angst und tief verletzt, aber frei, ein neues Leben zu beginnen, eilte Ulu in Richtung Norden. Sie war am Leben.
Doch eines Tages würde auch sie diese Freude erfahren.
Acht Priester benötigten vier Doppelstunden, um die Leichen zu ordnen, jedem eine namentliche Bestattung zukommen zu lassen, alle Körper mit Erde zu besprenkeln, die restlichen Gaben in die Gruft zu schleppen, die Trankopfer auszugießen, den Tisch für das Totenmahl zu decken und schließlich wieder aus der Gruft zu klettern.
Cheftu tat alles weh, er stank nach Tod und Dreck, sein Magen krampfte sich vor Hunger und vor Sehnsucht nach Chloe zusammen. Das Verlangen, sie zu berühren, würde ihn noch zum Wahnsinn treiben, fürchtete er. Nimrod konnte er nirgendwo entdecken; infolgedessen wusste er auch nicht, wo Chloe steckte.
»En«, sagte ein Priester. »Du solltest dich vor der letzten Opferung, äh, baden und umziehen. Bald werden die Menschen mit ihren Abschiedswünschen zu dir kommen, und anschließend wird der Schacht aufgefüllt.«
»Natürlich«, bestätigte Cheftu.
»Das Bad ist bereits bereitet.«
»Von wem?«
»Shama dient dir jetzt. Wie du gewünscht hast.«
Cheftu bedankte sich murmelnd und begab sich auf den Weg durch das Labyrinth von Amtsstuben und Wohngemächern. Solange er sich keine Gedanken darüber machte, wohin er ging, verirrte er sich auch nicht. Seine Tür schwang auf einen leichten Druck hin auf, und er trat ein.
Nebenan sah er das Bein einer Frau, die seine Wanne füllte.
»Ich habe ausdrücklich nach Shama verlangt«, erklärte er mit leisem Ärger. »Nicht nach einer Frau.«
»Okay«, war die Antwort, wobei die Frau vor ihn hintrat. »Ich dachte nur, du hättest es dir vielleicht anders überlegt.«
Er packte sie, sie schlang die Arme um ihn, und dann hielten sich beide bebend in den Armen. »Chloe, meine Geliebte. Ach, meine Chloe«, flüsterte er in ihr schwarzes Haar.
»Lass mich nie wieder los«, hauchte sie. »Lass mich nie, nie wieder aus deinen Armen.«
»Das kann ich gar nicht«, antwortete er. »Bestimmt nicht. Meine geliebte Gemahlin, ach, meine Chloe.«
Jetzt gehörte ihm das Haus ganz allein. Sobald die Kupferschmiede neues Kupfer besorgt hatten, konnte er eine Wanne bestellen. Endlich hatte er Geld, eine Anstellung als Seher für Asa und den alten Sterndeuter so fest in der Hand, dass er tun und lassen konnte, was ihm gefiel. Ezzi war ein gemachter Mann.
Ulus Diener hatte er entlassen und ihre Sklaven verkauft. Jetzt war es still und dunkel im Haus. Ihr Parfüm schwebte immer noch in der Luft; der Duft gab ihm das merkwürdige Gefühl, sie würde gleich ins Zimmer treten und seinen Frieden stören. Doch das konnte sie nicht. Sie war tot, unter einem Erdschacht begraben, der so tief war wie die Stufen des Tempels aufragten.
Heute kamen ihm die Sterne besonders fern vor, jedem menschlichen Zugriff entzogen. Die Schauer, die sie geschickt hatten, schienen überstanden. Die Götter waren genügend bestochen worden. Hungrig setzte Ezzi sich an den Tisch. Dann begriff er, dass er sich sein Essen selbst besorgen musste.
Er zündete eine Fackel
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