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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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Sonnenfinsternis oder eine unerklärliche Himmelserscheinung hervorrufen konnten. Es war gut möglich, dass nach dem heutigen Tag die Jahreszeiten wieder Tritt fassen würden, die Himmelskörper an den ihnen zustehenden Platz zurückfanden und das Leben in normale Bahnen zurückkehrte. Es stand ihm nicht zu, für diese Menschen zu entscheiden; sie feilschten selbst um ihr Leben.
    Doch abgesehen von seiner Seele prägte ihn ein im 19. Jahrhundert geschulter Geist, der von seiner manchmal sarkastischen und meist skeptischen Gemahlin aus dem 20. Jahrhundert zusätzlich auf die Probe gestellt wurde.
    Und der sich angesichts dieser wahnwitzigen Darbietung vor Qualen krümmte.
    Die Himmel bestanden aus Gas und Feuer und wussten von den Schwarzhaarigen ebenso wenig wie die Schwarzhaarigen von irgendwelchen Viren - das hatte ihm Chloe beigebracht.
    Die Landwirtschaft folgte Zyklen, wobei manche Jahre mehr einbrachten als andere. Ganze Regionen wurden von Pech und Unwettern entvölkert, behauptete seine Gemahlin und hatte ihm dann von einem Teil der amerikanischen Kolonien erzählt, die sich in eine einzige Staubschüssel verwandelt und dadurch eine große Depression ausgelöst hatten. Ihre Familie hatte damals Land besessen und es sich zur Pflicht gemacht, all jene zu speisen, die durch ihr Tor traten. Doch Tausende hatten ihre gesamte Habe verloren.
    So lief es nun mal auf der Welt. In Zyklen.
    Wenn Cheftu, damals noch als Jean-Fran^is Champollion, etwas an den Reisenden aus Europa gehasst hatte, dann dass sie alles mit daheim verglichen. Die Engländer in Kairo, die sich darüber beklagten, dass der Tee nicht ordentlich aufgegossen war; oder die Franzosen, die es einfach nicht fassen konnten, wenn keine anständige Hutseide aufzutreiben war. Schon als Jugendlicher hätte Cheftu diese Leute am liebsten angeschnauzt, doch einfach zu Hause zu bleiben.
    In Ägypten gab es keinen aufgebrühten Tee, sondern dreimal aufgekochten Tee aus Minze, klebrig süß serviert, oder winzige Kaffeetässchen, deren Bodensatz an feuchten Ruß erinnerte. Ägypten war kein Land der Seide, sondern der allerfeinsten, reinsten Baumwolle und der leichtesten Leinenstoffe. Der einzige Hut hier sollte kein Pariser Modell, sondern ein Turban oder Fez sein.
    Cheftu konnte seine Denkweise nicht plötzlich abschütteln. Die Straßen von Ur starrten zwar vor Schmutz, doch lebte hier das Volk, das als Erstes die Schrift erdacht hatte. Man schlachtete hier das Vieh auf den Straßen, und man musste über Ströme von Blut hinwegspazieren, doch wurden die Menschen demokratisch regiert und angemessen besteuert. Die Augenbrauen mochten ungekämmt wirken, doch wussten die Leute dank einer Art von Buchhaltung und fortgeschrittener Mathematik bis auf das letzte Korn genau, wie viel Gerste sie zusätzlich lagerten und wie viele Menschen sie damit ernähren konnten.
    Falls ein freiwilliges Menschenopfer Bestandteil ihrer Religion war, dann wussten sie möglicherweise mehr als er. Und dieses Opfer würde der überlebenden Bevölkerung bestimmt zugute kommen, zumindest was die Nahrungs- und Wasservorräte anging.
    Darum bewegte Cheftu weiter stumm den Mund, während er alte Männer, junge Männer, Goldschmiede und Weber, Färber und Wagner in die Erde schreiten sah. Der Tod war jedem Menschen vorbestimmt. Vielleicht war es ja besser, ihn selbst zu wählen, als von ihm ausgewählt zu werden. Jedenfalls war es besser, zu einem bestimmten Zweck zu sterben, statt nur als Teil eines Kreislaufs aus dem Leben zu scheiden.
    Der Blick des Lugal traf auf seinen, und Cheftu senkte den Kopf, um seine Ehrerbietung zu zeigen. Schweren Herzens folgte er dem Anführer in die Kammer. Dort lehnten die Männer an den Wänden, dicht nebeneinander stehend, umgeben von den sichtbaren Insignien ihrer Ämter.
    Shem wandte sich an ihn. »Ich mache das schon«, sagte er. »Du gehörst zu den Lebenden, mein Freund. Geh unsere Familien trösten und sage ihnen, dass wir dies aus Achtung vor dem Gemeinwesen tun, um die Gesundheit und Zuneigung unserer Sippen zu bewahren, und in Gehorsam gegenüber den Göttern.«
    Sie umarmten sich, dann kletterte Cheftu wieder hinauf in das von Fackeln erhellte Chaos der Lebenden.
    Dösend und gedankenverloren wischte Chloe das Getier weg, das ihr auf Armen und Beinen herumkrabbelte. Es war inzwischen kühl geworden, darum zog sie ihr Wollkleid mitsamt Umhang fester um den Leib und verdrehte es in dem Versuch, neugierige Vielfüßler abzuschrecken. Die Trommeln

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