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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Scheuermann
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wusste das alles, hatte aber keine Lust, über Dorothee – die das eigentliche Problem darstellte – zu diskutieren. Genau genommen hatte er überhaupt keine Lust zu reden.
    »Willst du das wirklich, Frank? Dass sie noch mehr Tests machen muss? Noch mehr Nadeln und Spritzen?«
    Frank schwieg und streichelte Kitty.
    So war das jeden Abend gegangen – so langsam kam Dorothee sich vor wie die einzige Befürworterin der Todesstrafe im Bundesstaat New York.
    Und heute, während sie mit Kitty im Taxi nach Hause fuhr, fühlte sie sich wie eine Idiotin.
    Sie hatte damals eine Position eingenommen, die ihr inzwischen völlig absurd erschien. Wieso sollte man das Tier einschläfern? Was wusste sie vom Hundeleben, von Hundeschmerzen? Vielleicht war Kitty glücklich, auch wenn sie ein Hüftleiden hatte und Krebs und sich kaum bewegen konnte. Und ihr Fressen kaum bei sich behielt.
    Wie immer mobilisierte Kitty alles, was noch an Kraft in ihrem vierbeinigen Körper steckte, als sie ihr Haus erkannte; Dorothee hatte sich eine Ecke früher absetzen lassen, um noch bei der Apotheke das Rezept einzulösen. Kitty wurde aufgeregt – es dauerte ihr zu lange, bis Dorothee den Schlüssel ins Schloss gesteckt und umgedreht hatte – und drängte die Eingangstür der Wohnung mit der Schnauze auf. Schon im Flur schien sie aber zu zögern, sie ahnte anscheinend, dass sie wieder umsonst gehofft hatte. Dennoch gab sie noch nicht auf, sie strebte, kaum hatte Dorothee ihr das Halsband abgenommen, zu Franks Arbeitszimmer, um nach ihm zu suchen. Dorothee öffnete die Tür einen Spalt, um die Hündin hineinzulassen. Sie wartete kurz, bis Kitty enttäuscht wieder herauskam, um vorsichtshalber noch im Wohn- und Schlafzimmer und im Bad nachzusehen. Genau in dieser Reihenfolge ging das Tier vor, ob sie nun für zehn Minuten draußen gewesen waren oder, wie jetzt, für fast vier Stunden. Dorothee liebte Kitty dafür, dass sie immer wieder neue Hoffnung schöpfte, und gleichzeitig fragte sie sich, woher sie sie nahm. Seit Neuestem spielte sie sogar manchmal mit ihr das Suchspiel, sagte sich, dass Frank einfach kurz aus dem Haus gegangen war und bald wieder zurück wäre. Beide, Kitty und sie, wurden dann so umtriebig wie sonst zu keiner Gelegenheit mehr. Sie spielten sich das so gut vor, dass Dorothee es manchmal selbst glaubte. Warum tat sie sich das an? Die einfachste Antwort war: um überhaupt etwas zu tun. Die problematischere, dass in Dorothee der Wunsch erwacht war, auch sie könnte einfach für immer glauben, dass er bald wiederkäme; auf diese Weise könnte sie vielleicht weiterleben.
    An diesem Nachmittag nahm sie zur Beruhigung das erste Tavor und am Abend ein zweites. Der Tag wurde etwas weicher, die Stunden flossen gnädiger an ihr vorbei. Es gelang ihr sogar, einige Pflichttelefonate zu führen. Vor allem ihre Mutter, die krebskrank war, sorgte sich sehr um sie und drohte ständig mit einem »längeren Besuch«, damit Dorothee das tragische Geschehen »leichter verwinden« könnte. Aber Dorothee hatte ihr schon mehrfach erklärt, dass sie es gar nicht verwinden, sondern lieber erst einmal begreifen wollte, und nach ein paar unerfreulichen Gesprächen, die beide Seiten aufwühlten und zum Weinen brachten, rief Dorothee nicht mehr zurück. Nur hatte sie jetzt den Verdacht, die Mutter plane, hier aufzukreuzen, so ungewöhnlich war es, dass sie sich gar nicht mehr meldete. Also galt es, die alte Frau zumindest so weit zu beruhigen, dass sie nicht wirklich in den Zug stieg. Dorothee log ihr etwas von Kirchbesuchen und einer Hinterbliebenen-Selbsthilfegruppe vor, und diesmal weinte sie selbst nicht am Telefon, nur ihre Mutter.
    In der Nacht schlief Dorothee bestens, so gut wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Die ganze nächste Woche gelang ihr das. Der Schlaf war besser als das Wachsein, denn sie träumte vom Leben. Wenn sie erwachte, dann fühlte es sich an, wie lebendig begraben zu sein. Die Luft war dickflüssig und dunkel, sie bildete immer einen Widerstand, und Dorothee schwamm permanent gegen eine Strömung an, auch wenn sie nichts tat, als zu versuchen, vom Bett ins Badezimmer zu kommen. Es waren nur fünf Meter, die aber eine fast unüberwindbare Strecke darstellten, weil Frank ihr früher vom Bett aus immer nachgeschaut hatte auf dem Weg zum Zähneputzen, morgens und abends. Kam sie nackt zu ihm ins Bett zurück, so nahm er sie in die Arme; das war ihr Liebesritual.
    »Man muss lernen, mit der Trauer zu leben«, erklärte sie Kitty,

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